· 

„Es gibt keine hoffnungslosen Fälle“

Gefängnisseelsorger Mario Kunz wechselt von Nürnberg nach Ebrach

Seit seiner Ausbildung zum Pastoralreferenten war Mario Kunz als Gefängnisseelsorger in Nürnberg tätig. Nun ist der heute 55-Jährige in den Jugendstrafvollzug nach Ebrach bei Bamberg gewechselt. Am 1. September hat er seinen Dienst dort angetreten. Bei seiner Arbeit ist ihm der positive Ansatz wichtig. Seine Überzeugung: Jeder hat Fähigkeiten, Perspektiven gibt es immer – aber keine hoffnungslosen Fälle. Ein Mensch ist mehr als nur ein Straftäter. Wenn Mario Kunz von seiner langjährigen Tätigkeit erzählt, spürt man, dass er mit Herzblut an seine Arbeit geht. Jeden Tag wollen Inhaftierte mit dem Gefängnisseelsorger reden. „Es gibt mehr Gesprächsbedarf, als man bewältigen kann“, berichtet er. Die Seelsorge beginnt mit Zuhören. Er lässt sich Lebensgeschichten erzählen; das sei etwas Besonderes, die habe vorher niemand interessiert.

Alles beginnt mit dem Umgang, unterstreicht Kunz. Man müsse mit anderen anständig umgehen. Das sei der Ansatz von Kirchenleuten: jeden annehmen, wie er ist, ihm Würde zuerkennen, in ihm ein Kind Gottes sehen. „Ich denke, das gelingt mir“, sagt er lächelnd. Er wisse nicht, warum jemand eine Straftat begangen habe, kenne die Vorgeschichte nicht, also wolle er auch nicht urteilen. Geboren wurde Mario Kunz 1966 in einem kleinen Ort in der Oberpfalz, nahe der tschechischen Grenze. Die Schule besuchte er in Weiden, Theologie studierte er in Regensburg. Seine anfängliche Idee, Priester zu werden, verwarf er bald („Das war mir zu eng“), ging lieber nach Bamberg und machte die Ausbildung zum Pastoralreferenten. Eigentlich wollte er damals in die Krankenhausseelsorge gehen, entschied sich dann aber für das Gefängnis. In beiden Bereichen sei die Tätigkeit ähnlich. Kirche sei zu Gast, sagt Kunz; viel Einzelseelsorge, Gottesdienst als wichtige Aufgabe, Arbeit mit Ehrenamtlichen. Die Themen sind aber unterschiedlich. Im Gefängnis geht es um Lebensbilanzen, um Aussichtslosigkeit, um die Suche nach Perspektiven – und um das Problem Schuld. Was geschehen sei, könne nicht rückgängig gemacht werden, so der Seelsorger, doch dürfe man auch bei langen Haftstrafen nicht übersehen, dass es sich immer nur um einen Lebensausschnitt handle. „Der Mensch ist mehr als nur ein Straftäter!“ Die anfängliche Unsicherheit in dem ungewöhnlichen Beruf ist rasch gewichen. Angst verspürt Mario Kunz nicht. „Sonst könnte man hier nicht arbeiten.“ Wer das Gesprächsangebot annimmt, tut das freiwillig. Der Seelsorger ist für die Gefangenen Vertrauensperson. Sie können sich ihre Nöte von der Seele reden – in geschütztem Raum. Seelsorger haben Zeugnisverweigerungsrecht, weiß Kunz, für sie gebe es keine Aussagepflicht. „Das wissen die Gefangenen.“ Sein Part ist „aktiv zuhören“ – nachfragen, die Biografie berücksichtigen, Perspektiven suchen – auch provozieren und Kritik äußern. Doch: „Kein Vorwurf; das ist nicht meine Aufgabe!“ Basis von Seelsorge ist für ihn, den Glauben zu leben in der Nachfolge Jesu, sich den Menschen zuzuwenden ohne Vorbedingungen, Religion anzubieten, aber auch die eigenen Grenzen zu kennen. „Ich glaube, das hilft vielen weiter“, ist Kunz überzeugt: „Jeder Tag ist sinnvoll, an dem ich hier hereingehe“. Und deshalb macht er diesen Beruf gern. Der Seelsorger begleitet, ist da, wenn Krisen bewältigt werden müssen. Das gilt auch für die Probleme in der Pandemie. Als beispielsweise ein Gefangener nicht an der Beerdigung eines Angehörigen teilnehmen konnte, hielt Kunz zeitgleich in der Haftanstalt eine Trauerandacht und kümmerte sich um den Hinterbliebenen. Corona hat die Lage für Seelsorger und Inhaftierte schwieriger gemacht. Partnerberatung und Vater-Kind-Gruppen sind derzeit nicht möglich. Es gibt nur sehr reduziert Angebote für kleine Bibelgruppen. Kontakte von draußen ruhen nahezu – der beliebte Arbeitskreis Knast der Katholischen Hochschulgemeinde Nürnberg muss ebenfalls Pause machen. „Das ist ein großer Verlust.“, so Kunz.

Zwei katholische und zwei evangelische Seelsorger arbeiten in der JVA Nürnberg als Team zusammen. Mario Kunz hat mit einem evangelischen Kollegen den Bereich Männerstrafhaft betreut. Seinen Platz nimmt seit Anfang des Monats Pfarrer Andreas Müller ein, der schon öfter hier Gottesdienste gehalten hat – also nicht ganz fremd ist. Mario Kunz sieht zuversichtlich seiner neuen Arbeit in der wesentlich kleineren Jugendstrafanstalt Ebrach entgegen. Gut findet er, dass er nicht umziehen muss. Bisher pendelte er von seinem Wohnort nahe Wilhermsdorf mit dem Motorrad nach Nürnberg – künftig dann Richtung Steigerwald. Die Fahrt hilft ihm, Abstand zu gewinnen – von den Gesprächen, die stets volle Konzentration erfordern. Was dann noch auf ihm lastet, gibt er im Gebet ab. „Ich bilde mir nicht ein, jedem helfen zu können“, sagt Kunz. „Bescheidenheit ist wichtig!“ 

Autor: Ulrike Pilz-Dertwinkel