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„Es sind Menschen, die diese Arbeit machen“

„Kirche für Fernfahrer“ macht auf prekäre Situation aufmerksam

Das Anliegen ist dringend. Seit 20 Jahren ist das Problem bekannt. Durch Corona hat sich die Lage noch einmal verschärft. Rund 25 000 Fernfahrer gehen bei der abendlichen Suche nach einem Parkplatz leer aus in Deutschland. Tag für Tag. „Uns ist es wichtig bewusst zu machen, dass diese Arbeit hinter dem Lenker von Menschen gemacht wird“, sagt Norbert Jungkunz von der Betriebsseelsorge im Erzbistum Bamberg. „Ohne diese Fahrer geht nichts“. „Fernfahrerinnen und Fernfahrer brauchen faire Bedingungen“, fordert die Arbeitsgruppe „Kirche für Fernfahrer“ und schrieb deshalb einen Brief an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Die Lebenssituation der Fernfahrer sei prekär. Verbesserungen, die seit Jahren von vielen gefordert werden, duldeten keinen Aufschub mehr. „Durch die Pandemie wurden und werden viele soziale Probleme in dieser Brache auf dramatische Weise offenbar“, heißt es in dem Schreiben. Selbst wer einen Rastplatz ergattert hat – „dank“ Corona ist es schwierig sich zu versorgen. „Wo du übernachtest darfst du zwar essen, wie in einer Kantine, aber das rechnet sich für viele nicht.“ Dann bleibt nur der Imbiss. Jeden Tag Currywurst...? Duschen, WCs – auch sie sind nicht überall offen und für die Fernfahrer zugänglich. „Es ist unvorstellbar, wie eingeschränkt die Fahrer durch Corona leben müssen“, bedauert Jungkunz. Doch auch schon vor Corona fehlten ausreichend Toiletten und Duschmöglichkeiten. Die hygienischen Verhältnisse an Rasthöfen, Parkplätzen und Logistikzentren sei oftmals „gelinde gesagt“ mangelhaft. Nun fehle auch noch die Möglichkeit der Begegnung. Zusammen ein Feierabendbier trinken, auf andere Gedanken kommen, Probleme austauschen... Dabei seien viele der osteuropäischen Fahrer bis zu vier Monaten am Stück unterwegs. Weg von Zuhause, von der Familie. Auch seien im Zuge der Corona-Pandemie in Europa die Lenk- und Ruhezeiten weitgehend freigegeben worden. Dadurch steige die tödliche Gefahr von Übermüdung und Sekundenschlaf. Eine Gefahr nicht nur für die Fahrer. Die Versorger der Nation hätten ein Recht auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen, betont der Betriebsseelsorger. „Wir fordern die Politiker auf, den ruinösen Logistik-Wettbewerb auf dem Rücken der Fahrer zu beenden.“ Die Armut der Fahrer aus Osteuropa würde ausgenutzt. Die Löhne seien skandalös. Es gebe Anbieter die führen von Mailand nach Berlin für 280 Euro. Wie kann das gehen? 14 Stunden Fahrzeit. Benzin. Reifen- und LKW-Abnutzung... Fahrerlohn? Der Konkurrenzdruck ist enorm. Der Druck werde an die Fahrer weitergegeben. 15 Stunden-Schichten – keine Seltenheit, in der Hoffnung, nicht erwischt zu werden. Die spürbare Folge: Isolation und Vereinsamung. „Die Scheidungsrate unter der Fernfahrern ist hoch“, weiß der Seelsorger. Um so wichtiger sind die Betriebsseelsorger. Für die Gespräche am Rande oder bei den Truckerfestivals. Für die Wertschätzung, den Austausch von Problemen, das Gesehen werden. Jungkunz erinnert sich etwa an das Gespräch mit einem Fernfahrer, der vor zehn Jahren einen tödlichen Unfall miterlebt hatte. Darüber hat er bislang mit niemandem sprechen können. Wer kümmert sich um die Menschen, die Wochen und Monate allein unterwegs sind, fragt Norbert Jungkunz. Wo können sie Gott begegnen? Die Seelsorger der Arbeitsgruppe „Kirche für Fernfahrer“ informiert auf Truckertreffen auch über rechtliche Fragen etwa zum Arbeitsrecht, Rente oder Haftung, sie helfen in Nöten, sind Ansprechpartner etwa bei Eheproblemen oder Trauer. Sie haben das Buch „ontour“ herausgegeben, um den Fernfahrern etwas mitgeben zu können, Gebete, Rat und Hilfe. Sie öffnen Räume für Erfahrungen und Austausch. Und sie bauen Brücken zwischen Arbeitswelt und Kirche. Jungkunz sei froh, dass sich auch der Päpstliche Rat mit dem „Apostulat der Straße“ dieser Frage annimmt. Das sei wichtig. Und nehme auch die Gemeinden in die Pflicht. „Es braucht Menschen die diese Not der Fahrer sehen“. Diese Arbeit müsse mehr mit Würde und Respekt betrachtet werden. „Es braucht mehr Wertschätzung für die Frauen und Männer, die sich täglich auf den Weg machen, uns zu versorgen“. 

„Kirche für Fernfahrer“ – Die Arbeitsgruppe „Kirche für Fernfahrer“ besteht aus einer Frau und acht Männern, meist Mitglieder der Katholischen Betriebsseelsorge der Bistümer Augsburg, Bamberg, München und Freising, Rottenburg-Stuttgart, Freiburg, Speyer und Mainz. Es bestehen Kontakte zu Spediteuren, Logistikern und Transporteuren. Die Gruppenmitglieder treffen sich regelmäßig zum Austausch und sind regelmäßig auf den Rastplätzen ihrer Region unterwegs. Vor Corona waren sie auch jährlich bei den großen Truckerfestivals in Geiselwind und Lichtenfels präsent.

Autor: Brigitte Pich