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Sakralraumtransformation

An der Tagung im Caritas-Pirckheimer-Haus nahmen mehr als 100 Fachleute teil.                                          Foto: buc
An der Tagung im Caritas-Pirckheimer-Haus nahmen mehr als 100 Fachleute teil. Foto: buc

Nürnberg (buc) – Das Thema ist schwierig, sperrig, widerständig. Wie schon das Wort anzeigt, das einem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) den Titel gibt: „Sakralraumtransformation“. Gemeint ist die Umwidmung von Kirchengebäuden, die nicht mehr genutzt werden, weil Gläubige und Gelder fehlen – Thema beim Studientag „Die Zukunft „unserer Kirchengebäude". Umwidmung heißt: Die Gebäude werden nicht länger als Kirchen gebraucht. Es stellt sich die Frage nach einer Nachnutzung. Im Extremfall kommen die Bagger und reißen die Kirche ab.
Das Thema ist mit Tabus belegt. „Es ist nach wie vor so, dass wir nur annäherungsweise Zahlen erhalten", sagte Walter Zahner, stellvertretender Hauptabteilungsleiter Seelsorge im Bistum Regensburg, in seinem Auftaktreferat. „Oder anders ausgedrückt, die Zahlen, die mitgeteilt werden, dürften nach meiner Einschätzung eher Mindestangaben oder Näherungswerte sein.“ Es gibt in Deutschland rund 44000 katholische und evangelische Kirchengebäude; an die tausend sind in den vergangenen Jahren entwidmet worden, mit Nachnutzung oder Abriss.
Was tun mit nicht mehr benötigten Kirchengebäuden? Der emeritierter Bonner Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards, der am genannten DFG-Projekt mitwirkt und bei der Tagung per Videostream zugeschaltet war, plädiert für zunächst innerkirchliche Lösungen. Wenn sich die Gemeinde zur Gesellschaft öffne, „öffnet sich automatisch auch der Kirchenraum“. Doch ist man bereit, Kirchenräume als „hybride Räume“ zu denken, Hybrid heißt gemischt, es geht um eine Mischnutzung. Gerhards spricht von einer „hybriden Sakralität“. Heute sei in Kirchenräumen möglich, was früher undenkbar war.
Zehn Prozent machen die Kirchen im bayerischen Denkmalbestand aus, sagt Susanne Fischer vom Landesamt für Denkmalpflege. Ein Großteil der Gotteshäuser stehe auf der Denkmalliste, samt Erinnerungswert für die Allgemeinheit. „Wenn der Bagger vor der Tor steht und die Emotionen hochgekocht sind, ist es nicht mehr so einfach, sachlich zu diskutieren“, so Fischer. Die Behörden versuchten, frühzeitig zu agieren. „Letztlich werden wir uns die Einzelfälle anschauen müssen“, sagt die Expertin.
Fischer nennt Beispiele für Gemeinden, die nach dem Weltkrieg große Kirchen bauten, jetzt aber reicht ihnen die kleine schmucke Barockkirche. Birgit Kastner wiederum, Hauptabteilungsleiterin für Kunst und Kultur im Erzbistum, schildert den umgekehrten Fall: Eine Pfarrei ist in der glücklichen Lage, über eine mittelalterliche Kirche zu verfügen, zudem gibt es eine in den 1960er Jahren erbaute Kirche, mit spannender Architektur. „Die Gemeinde feiert ihren Gottesdienst viel lieber in dem modernen Bau“, so die Kunsthistorikerin. Soll man das Jahrhunderte alte Gotteshaus nun abreißen?
790 Kirchen und Kapellen sind im Erzbistum Bamberg in Nutzung, wie Kastner erläutert. Was passiert in den nächsten Jahrzehnten mit den Finanzen, mit Katholikenzahlen, Priesterzahlen? „Die Zeiten, in denen wir beliebig viele Bauten erhalten konnten, sind vorbei“, sagt die Hauptabteilungsleiterin mit Deutlichkeit. Und mit erkennbarem Widerwillen spricht sie von notwendiger energetischer Sanierung, von Gebäudeleitfäden, Flächenmanagement. Was kann und soll erhalten werden? „Für wen, wie viele und warum?“ Das sind die Fragen, denen sich die Kirche ganz konkret zu stellen hat.
Das Herz gebrochen
Die Aufgabe als Aufgabe: Die Fälle, in denen Kirchen nicht mehr benötigt werden, sind auch hierzulande nicht so selten, wie man vermutet. In Hof wurde die St. Otto-Kirche abgerissen, ein Relief der Fassade zog in ein Caritas-Altenheim um („Es wandert mit“, so Kastner). In Rehau wurde die Apostelkirche zu einem Behindertenwohnheim, in eine Kirche in Schwarzenbach an der Saale zieht vielleicht ein Künstleratelier ein. In Leupoldsgrün wurde die katholische Kirche an die russisch-orthodoxe Gemeinde verkauft, in Uffenheim an die rumänische Kirche. Es werden nicht die letzten Fälle bleiben.
Mit der Aufgabe ist Schmerz verbunden. Denn welche Bedeutungsdimensionen, fragt der Passauer Pastoralreferent Maximilian Gigl bei der Tagung, schreiben Menschen den Kirchengebäuden zu? Sie ist offenbar größer als gedacht. Gigl hat in seiner Dissertation unter anderem den Fall der entwidmeten, in eine Kindertagesstätte umgestaltete Kirche St. Bonifatius in Düren im Bistum Aachen untersucht. „Ihr brecht vielen Menschen das Herz“, kommentierte damals ein Katholik die inzwischen verwirklichten Pläne. Und ein anderer: „Kirche ist mehr als ein umbauter Raum. Sie stiftet Heimat und Identität.“
Den Räumen ihre Identität lassen, das ist auch das Thema von Albert Gerhards. „Die Kirche soll präsent bleiben“, sagt der Liturgiewissenschaftler. „Auch wenn man ganz rausgeht, soll die Aura bleiben.“ Mit Kastner und Fischer ist er sich einig, dass die Kirchenräume zumindest in ihrer spirituellen, kulturellen und sozialen Nutzung erhalten bleiben sollen. Sprich: Ehemalige Gotteshäuser als Kletterhallen oder Gourmettempel kommen weniger infrage. Kirchen sollen als Häuser für den „obdachlosen Gott“, wie Eugen Biser einst treffend formulierte, erhalten bleiben.
„Es ist ein Spagat“, formuliert Birgit Kastner. „Es will ja keiner Kirchen schließen.“ Sie spricht von einer Notlage, was die Gebäude anbelangt. Der Druck, die Notwendigkeit, Flächen abzustoßen, Pfarrsäle in die Kirchengebäude zu integrieren, was wie in St. Michael in Nürnberg auf keineswegs einhellige Zustimmung der Gläubigen trifft. Aber es gibt auch gelungene Beispiele der Umgestaltung, Don Bosco in Forchheim etwa, wo die Aura des sakralen Raums gestärkt werden konnte. „Der Raum öffnet mich“, so Kastner. Es gehe nicht nur darum, Dinge rückwärts zu denken.