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Den Betroffenen Mut machen, sich zu melden

Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs

Es ist nicht so einfach“, sagt Knarik Martirosyan an mehreren Stellen des Gesprächs. Nicht einfach für die Betroffenen, Mut zu fassen, sich zu öffnen, ihre Geschichte zu erzählen. Nicht einfach, mit den Emotionen umzugehen, mit Angst, Scham, Wut, mit allem, was dazugehört. Nicht einfach auch für jene, die die Geschichten zu hören bekommen, das Leid nachempfinden. Knarik Martirosyan hat dabei den nicht geringen Vorteil, dass sie mit diesem Leid seit langem berufsmäßig zu tun hat. Die Bamberger Psychologin und Psychotherapeutin kennt die Schilderungen von Demütigung, psychischer und körperlicher Gewalt sowie sexuellem Missbrauch aus ihrer Praxis und auch als Anhörungsbeauftragte der nationalen Aufarbeitungskommission. Die gebürtige Armenierin leitet die im Februar gegründete Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Erzdiözese. Rund 90 Fälle von sexualisierter Gewalt an Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sind aus den vergangenen Jahrzehnten bisher bekanntgeworden (siehe Heinrichsblatt Nr. 24/2021, S. 12-13). Die Dunkelziffer liegt deutlich darüber, sie kann nicht seriös geschätzt werden. Es geht um Vergewaltigungen ebenso wie Grenzverletzungen oder -überschreitungen unterhalb der strafrechtlichen Ebene. Die frühesten gemeldeten Taten fallen in die 1950er Jahre. Der jüngste Vorwurf wurde vor wenigen Wochen bekannt. Ein Nürnberger Priester soll gegenüber einer Erwachsenen übergriffig geworden sein. Auch mit diesem Fall wird sich die Kommission befassen, kündigt Knarik Martirosyan an – zunächst aber ermittelt die Staatsanwaltschaft. „Wir werden erst einmal abwarten, bis das abgeschlossen ist“, sagt die Psychologin. Erst vor kurzem hat das Gremium einen Aufruf an Betroffene gestartet, sich zu melden und ihre Geschichten zu erzählen, in die Aufarbeitung einfließen zu lassen beziehungsweise sich im Betroffenenbeirat zu engagieren. In der Kommission selbst sind zwei Personen vertreten, die Missbrauchserfahrungen erlitten haben. Sie haben den anderen Mitgliedern ihre Fälle geschildert.

Die sieben Fachleute mussten ihre Tätigkeit unter erschwerten Corona-Bedingungen aufnehmen, tagten mal in Präsenz, mal online. Sie gaben sich eine Geschäftsordnung, ließen eine eigene Homepage einrichten, führten erste Anhörungen durch, wie Martirosyan berichtet. Das Erzbistum habe versprochen, vollständigen Aktenzugang zu ermöglichen. Grundsätzlich sei man mit den Verantwortlichen „in gutem Austausch“. Eng arbeitet die Kommission mit der Missbrauchsbeauftragten des Erzbistums zusammen: Eva Hastenteufel-Knörr nahm schon an einigen Treffen des Gremiums teil. Die Präventionsbeauftragte Monika Rudolf soll demnächst eingeladen werden. Kontakte gibt es mit den bereits eingerichteten Kommissionen anderer Diözesen. Die Vorsitzenden sollen bald über eine eigene Onlineplattform Informationen und Dokumente austauschen, wie Knarik Martirosyan sagt. Sie selbst hat nicht nur Erfahrung im Gespräch mit Betroffenen, sondern auch in der Präventionsarbeit: Ehrenamtlich bot sie Kurse für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erzieherinnen an. Der Kommission ist eine umfassende und die Betroffenen einbeziehende Aufarbeitung wichtig. Knarik Martirosyan wünscht sich deshalb noch weitere Personen, die im Betroffenenbeirat mitwirken wollen. Diese können sich per E-Mail melden unter info@kommission- bamberg.de.

Näheres im Internet unter www.kommission-bamberg.de (Unabhängige Kommission) und https://praevention.erzbistum- bamberg.de (Präventionsarbeit in der Erzdiözese, dort auch eine Liste mit Ansprechpartnern für Betroffene)

Autor: Bernd Buchner