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Nächtliche Ausgangssperren bei hohen Corona-Zahlen geplant

Kabinett bringt bundesweit einheitliche und strenge Regeln auf den Weg

Berlin - Bei hohen Corona-Infektionszahlen sollen nächtliche Ausgangssperren und weitere strenge Kontaktbeschränkungen automatisch wirksam werden. Das Bundeskabinett brachte am Dienstag in Berlin eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes auf den Weg, wonach die von Bund und Ländern im März vereinbarte Corona-„Notbremse“ bundesweit verpflichtend wird. Dem Entwurf zufolge wird diese Notbremse gezogen, sobald in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt mehr als 100 Corona-Neuinfektionen pro 100000 Einwohnern binnen sieben Tagen registriert werden. Derzeit haben außer Schleswig-Holstein alle Bundesländer und die große Mehrheit der Landkreise in Deutschland diese Marke überschritten.
Private Treffen müssen dann laut Entwurf auf ein Mindestmaß reduziert und Geschäfte sowie Freizeiteinrichtungen weitgehend geschlossen werden. Nur noch die Supermärkte oder andere wichtige Dienstleister wie Optiker oder Apotheken bleiben geöffnet. Die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen sind zwischen 21 bis 5 Uhr vorgesehen. Die Wohnung darf dann nur aus besonderen Gründen, etwa wegen medizinischer Notfälle oder zum Arbeiten, verlassen werden. Der Präsenzunterricht an Schulen und die Regelbetreuung in Kindertagesstätten sind ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 200 untersagt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte, die Notbremse sei künftig nicht mehr Auslegungssache, „sondern sie greift automatisch“.
Bislang mussten die Bundesländer die strikteren Regeln umsetzen, was sie allerdings auch in der aktuell dritten Welle der Pandemie kaum taten. Merkel warb um Verständnis für die nochmaligen „Entbehrungen und Freiheitsbeschränkungen“ und wies auf die laufende Impfkampagne hin. Seit die Hausärzte einbezogen seien, „gehen wir dem Licht am Ende dieses Tunnels mit immer größeren Schritten entgegen“.
Nach dem Kabinettsbeschluss beraten Bundestag und Bundesrat über den Entwurf. Für eine schnelle Befassung noch in dieser Woche ist eine Fristverkürzung mit Zweidrittel-Mehrheiten nötig. Der Bundesrat muss dem Gesetz zwar nicht zustimmen, kann aber Einspruch einlegen.
Das Kabinett beschloss am Vormittag ferner, dass Unternehmen und Behörden verpflichtet werden, Beschäftigten, die nicht ausschließlich im Homeoffice arbeiten, mindestens einen Corona-Test pro Woche anzubieten. Diese Änderungen der Arbeitsschutzverordnung sollen laut Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in der kommenden Woche in Kraft treten.
Die Neuregelungen stießen auch auf Kritik. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte in der RBB-Abendschau am Montagabend, bei den Beschränkungen dürfe man nicht über das Ziel hinausschießen, wie etwa bei einer möglichen Ausgangssperre. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, Jan Korte, kritisierte die Ausgangssperre ebenfalls und kündigte an: „Sollte die Koalition an diesem kritischen und unverhältnismäßigen Vorhaben festhalten, werden wir rechtliche Schritte prüfen.“
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) befürchtete indes die soziale Isolation von Menschen in Pflegeheimen. Es müsse sichergestellt werden, dass alle, die einen vollständigen Impfschutz erhalten hätten, Besuch empfangen und innerhalb der Einrichtungen Kontakte pflegen könnten.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) begrüßte es wiederum, dass der Bund künftig mehr Entscheidungsgewalt hat. Die Entscheidungen „von oben her“ seien rechtssicherer, erläuterte er in Stuttgart. Die Ministerpräsidentenkonferenz, die bisher in Treffen mit Merkel Corona-Maßnahmen beschlossen hatte, sei kein Verfassungsorgan. Laut Geschäftsordnung müssten die Entscheidungen einstimmig gefällt werden. Die Einstimmigkeit sei aber bei der wichtigen Frage der Ausgangsbeschränkungen nicht mehr herzustellen gewesen.

 

Autor: epd