
Bamberg (kem) – Konrad Göller leitete 15 Jahre als Vorsitzender die Geschicke des Bamberger Hospizvereins. im vergangenen November legte er bei der Mitgliederversammlung sein Amt nieder. Im Interview mit dem Heinrichsblatt blickt er auf seine Zeit zurück, auf das, was sich geändert hat und was geschafft wurde. Und er wagt einen Blick in die Zukunft.
Herr Göller, 15 Jahre waren Sie nun an der Spitze des Bamberger Hospizvereins. Wie sehen Sie Ihre Arbeit?
Konrad Göller: Im Hospizverein bin ich seit seiner Gründung 1990. Seit 2001 war ich auch Stellvertreter von Christine Denzler-Labisch (Anm. d. Red.: die erste Vorsitzende des Vereins), und da war ich im operativen Geschäft immer voll dabei. Am Anfang war mir eher wichtig, dass die Idee des Hospizvereins bekannt wird. Daher kümmerte ich mich zu Beginn eher um die Öffentlichkeitsarbeit. Denn auch wenn wir über 100 Mitarbeiter haben, können wir immer nur ein Beispiel sein, wie man anders mit Sterben, Tod, Trauer und auch Leben umgehen kann, um dies als positiv zu erfahren.
Der Ausgangspunkt unserer Arbeit ist in der Regel, das Lebensende steht bevor, Schmerzen sind da. Dass das Ganze trotzdem noch etwas mit Lebensqualität zu tun hat, und dass man davon etwas lernen kann, ist unser Ziel. Gerade heute suchen Menschen immer nach dem Glück, aber das Wesentliche wird immer erst an der Grenze gesehen. Und da wollen wir zeigen, dass dieses „nicht mehr mit voller Kraft leben“ auch etwas Heilsames sein kann.
Ist das ein Lernprozess bei uns Menschen?
In jedem Fall. Wir haben das nicht angeboren. Und da sehe ich unsere Aufgabe. Es tut gut, für Menschen da zu sein, die Unterstützung brauchen. Und zwar nicht nur pflegerisch und medizinisch. Diese Seite ist in Deutschland luxusmäßig ausgebaut. Für die andere Seite, für den existenziellen Schmerz braucht es Menschen, die Dir sagen, „ich höre Dir zu, ich bin da“. So entsteht ein Dialog und so entsteht auch am Ende des Lebens noch wertvolle Zeit.
Ist es dann als Hospizverein wichtiger, Menschen zu begleiten, oder schon bevor es soweit ist aufzuklären?
Das hält sich ziemlich die Waage. Ich glaube, dass es auch so etwas wie Prophylaxe an dieser Stelle geben muss, denn die Menschen sind in diesem Punkt völlig blank. Am liebsten wäre es ihnen, sie wachen früh auf und sind tot. Doch es kommt meistens anders. Darauf kann man aber vorbereitet sein. Wir haben zum Beispiel schon vor über 20 Jahren angefangen, über das Thema Patientenverfügung zu informieren.
Haben Sie denn selbst eine Verfügung?
Das ist verrückt. Ich habe Jahrzehnte für dieses wichtige Thema plädiert, aber ich habe selbst noch keine, weil ich an der Stelle naiv optimistisch bin. Aber ich sage allen Menschen, ihr müsst dafür sorgen.
Wichtig ist ja auch, nicht nur bis zu diesem Punkt zu denken, sondern auch darüber hinaus. Das ist aber das Entscheidende. Wir sagen bei der Beratung immer, dass die Patienten auch an die denken sollen, die nach deren Tod noch da sind – Kinder, Enkel, Freunde. In diesen Menschen lebt man weiter und auch sie brauchen Unterstützung.
Stumpft man in den Jahrzehnten der Trauerbegleitung nicht irgendwann ab?
Überhaupt nicht. Einer unserer Ehrenamtlichen war früher Anwalt und berät heute in Sachen Patientenverfügung. Er macht in gewisser Weise das Gleiche wie früher, doch er sagt, er freut sich jetzt jedes Mal auf die Menschen. Und das ist der Punkt. Wir arbeiten mit Menschen. Jeder ist anders, jede Situation ist neu. Da gehört schon auch eine Portion Mut dazu, denn man weiß nie, worauf man sich einlässt, was die Wünsche, Träume und Bedürfnisse der jeweiligen Personen sind. Man setzt sich dem Ungewissen aus und weiß nicht, ob man angenommen wird oder scheitert. Das ist die besondere Qualität von Ehrenamtlichen.
Man baut zu den Menschen eine Beziehung auf und lässt sich auf sie ein. Von den wenigen, die ich persönlich begleitet habe, haben sich alle in mein Herz eingebrannt.
Hat sich in Sachen Hospizarbeit während ihrer Zeit etwas bewegt in Deutschland?
Eine Menge! Am Anfang ging es darum, die Defizite der Pflege und der Medizin zu markieren. Dieser Punkt ist inzwischen gut ausgebaut, so dass wir uns um den „Rest“ kümmern können. Aber dieser Rest ist der ganze Mensch. Hierauf können wir uns heute viel mehr kümmern. Beide Seiten gehen hier Hand in Hand und ergänzen sich.
Das ist gerade in Bamberg toll gewachsen. Hier war es nicht so, dass die Mediziner das ganze Wissen für sich gepachtet hatten und die anderen die „Nichtse“ waren, die keine Ahnung hatten. Da haben wir wirklich ein bundesweites Vorbild geben können.
Würden Sie sagen, dass der Bau des Christine-Denzler-Labisch-Hauses ein Meilenstein für den Hospizverein war?
In jedem Fall. Das erste Haus, das wir aus Palliativstation, Hospizverein und Akademie gebaut haben, ist die bauliche Verkörperung der Hospizidee. Pflege, Medizin und menschliche Anteilnahme unter einem Dach.
Das war damals von der Konzeption her komplett neu, weil es außerhalb des Klinikums gebaut wurde. Es war zwar unterirdisch verbunden, aber eigenständig. Und man musste nicht durch eine Schleuse wie auf einer Intensivstation, sondern konnte Tag und Nacht dorthin.
In diesem Haus entstand eine ganz eigene Atmosphäre, die trotz der Klinikumskompetenz ganz anders war. Es gibt Angehörigenzimmer, einen Raum der Stille, einen Saal, in dem man sich begegnen konnte. Das war damals visionär und ist bis heute fast einzigartig geblieben.
Ein weiterer Meilenstein war für Sie dann wahrscheinlich vor gut zwei Jahren mit der Eröffnung des Kinder- und Jugendhospiz „Sternenzelt“?
Als wir von der Staatsregierung den Auftrag für das Kinderhospiz bekommen haben, waren wir natürlich dabei. Aber unter der Voraussetzung, dass es an diesem Standort gebaut wird. Das, was an Vorerfahrung da ist, wollten wir im neuen Haus fortführen.
In beiden Häusern ist uns vom Hospizverein ein „Mehr“ gelungen, sei es eine Art Kreuzgang auf der Palliativstation oder das Amphitheater und die Kreativwerkstatt außerhalb des Jugendhospizes. Wir als Hospizverein haben hier durch Spenden diese „Add-ons“ finanziert, weil solche Sachen nicht im normalen Finanzierungsplan mit drin sein können. Das ist das Besondere hier in Bamberg.
Dafür waren Sie auch jahrelang auf der Suche nach Spendern und Förderern.
Und ich bin für jede Spende immer dankbar gewesen. Egal, ob es große Firmenspenden waren oder nur 100 Euro von einer Privatperson. Wir wollen immer alle zu uns einladen, von unserer Arbeit erzählen und an der Stelle auch den geleisteten Beitrag wertschätzen.
So konnten wir 40 Prozent des ersten Hauses mitfinanzieren. Im Kinder- und Jugendhospiz ist es etwas anders. Hier wissen wir, dass wir permanente Kosten von 500 000 Euro pro Jahr selbst aufbringen müssen. Das ist etwas mühselig, weil es nicht unser Kerngeschäft ist, aber wir machen es trotzdem.
Jetzt treten Sie als Vorsitzender ab und mit Anke Wagner, Stephan Kirchner, Markus Starklauf und Andreas Schmid übernehmen künftig vier Personen Ihre Arbeit. Wie geht es Ihnen dabei?
Dass ich ein Auslaufmodell bin, war mir klar. Ich habe bis heute im Verein keinen Arbeitsplatz gehabt, das war alles bei mir zuhause auf meiner Galerie. Doch es war mir wichtig, dass es ein Vorstandszimmer geben wird. Es kommt eine andere Zeit mit anderen Herausforderungen. Und umgekehrt kann ich sagen, ich bin machen Dingen nach meiner Überzeugung nicht so gerecht geworden, wie es vielleicht sinnvoll gewesen wäre.
Es ist deswegen schön, dass sich nun dieses Vorstandsteam gefunden hat, das erfahren ist und das sich die Aufgaben aufteilt, wo ich mich teilweise – selbstkritisch gesehen – ein wenig durchgewurschtelt habe.
Geblieben ist, dass unser Hospizdienst unentgeltlich, und idealistisch unbezahlbar, geblieben ist. Und die Leitung ist auch vollkommen unentgeltlich.
Sie bleiben dem Hospizverein aber weiter verbunden?
Ich werde mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn man mich fragt. Aber ich will mich zurückhalten. Das muss man auch lernen. Als Ehrenamtlicher bin ich weiter dabei, aber ansonsten bin ich vernünftig. Ich werde 75 und das Leben ist endlich. Wenn wir das nicht kapieren, wer dann...
Wie sieht ihr Ruhestand jetzt aus, was haben Sie vor, wofür nehmen Sie sich Zeit?
Ich nehme mir vor, dass ich mehr Zeit mit meiner Frau teile und auch eher Dinge rückblickend genieße. Am Lebensende geht es ja immer auch um ein Stück Rückschau. Ich will nicht noch etwas draufsetzen, sondern eher mehr zu mir selbst kommen. Ich bin ein selbstvergessener Mensch. Gesundheit und Fitness sind da eher zu kurz gekommen. Solchen Dingen will ich auch mehr Zeit und Raum geben. Und dann genieße ich auch die Zeit mit meinen Enkeln, denen ich gerne beim Fußballspielen zuschaue.
Aber erst einmal bin ich jetzt ein Vierteljahr damit beschäftigt, meine Galerie zu leeren, Papier zu entsorgen und auch ein Stückweit von Dingen Abschied zu nehmen. Denn die Zeit wird enger und das Leben ist endlich. Und es kommen vielleicht noch andere Herausforderungen, für die man dann seine Kräfte braucht.
Wenn Sie auf Ihre Zeit zurückblicken und diese in drei Worten zusammenfassen müssten, welche wären das?
Die Hospizarbeit hat mich ausgefüllt, manchmal zeitlich auf Kosten von Frau und Familie. Sie hat mich ausgefüllt und menschlich weiterentwickelt, im guten Sinne. Außerdem bin ich besonders stolz darauf, dass die Realität des Lebens – eben nicht nur eitel Sonnenschein, sondern auch schwierige Zeiten – auch Lebensgewinn-Situationen für alle Beteiligten werden, und dass wir hierzu unseren Teil beitragen konnten.