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Wie Migranten auf die Vertreibungspläne der AfD blicken

Köln/Berlin/Braunschweig (KNA) – Hülya Özdag steht in ihrer Feinkonditorei in der Kölner Keupstraße, umringt von türkischen, süßen Köstlichkeiten und mehrstöckigen Torten. Die 43-Jährige ist noch durchgefroren von der Kälte draußen und behält ihren Mantel an. Er ist leuchtend rot, aber auch ohne ihn strahlt Hülya Özdag Energie und Kraft aus. Sie führt erfolgreich ein 40-köpfiges Unternehmen, und sie ist Deutsche mit türkischen Wurzeln. Wie blickt diese Frau auf die Pläne der AfD, Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund zu vertreiben? Wie blicken andere Migranten, Schwarze oder Flüchtlingshelfer darauf?

 

Bemerkenswert ist, dass die vom Recherche-Netzwerk Correctiv enthüllten "Remigrations"-Absichten offenbar viele kaum überrascht haben. Das sagt zum Beispiel Tahir Della, der Sprecher der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) mit Sitz in Berlin. Der bundesweite Interessenverband ist eigenen Angaben zufolge mit zahlreichen Gruppen in Deutschland vertreten. "Das hat mich persönlich bewegt, dass die betroffenen Communities nicht überrascht waren", berichtet er im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Diese Communities würden seit Jahren darauf hinweisen, dass es bereits Viertel nach zwölf sei und Zeit werde, dass die gesamte Gesellschaft die Gefahr ernst nehme.

 

Hülya Özdag findet, man hätte die AfD von Anfang an verbieten müssen. "Die Partei ist ein Deckmantel für Rechtsextremismus, das bestätigt doch die Recherche", sagt die Geschäftsfrau. Sie hat von dem Potsdamer Treffen, an dem AfD-Mitglieder, Rechtsextreme, Unternehmer und Mitglieder der CDU-Werteunion teilgenommen haben sollen, über die Social-Media-Plattform Instagram erfahren. Zuerst habe sie gedacht, die Nachricht wäre ein "Fake". "Dann musste ich über das Ausmaß schlucken. Es ist so eine menschenverachtende Ideologie", sagt Özdag.

 

Angst hat die Geschäftsführerin nicht. "Dafür ist Deutschland mittlerweile zu gemischt, es leben zu viele Ausländer hier." Außerdem ticke die Mehrheit der Deutschen doch "vernünftig". "Das sieht man ja schon an den Demos", sagt die Kölnerin. Sie sei überrascht gewesen, wie viele Menschen zuletzt auf die Straße gegangen seien: "Das hat mich positiv umgehauen." Özdag sagt aber auch, dass sie froh ist, in der Domstadt zu leben: "Köln ist bunt, die Menschen sind tolerant."

 

Andere besorgt die Entwicklung mehr. Zwar erklärt ISD-Sprecher Della, er werde sicher nicht die Koffer packen. "Aber das gilt nicht für alle Menschen. Manche überlegen sich, was sie machen, wenn sich die Lage weiter verschärft. Wenn sich welche im öffentlichen Raum motiviert fühlen, andere anzugreifen", erklärte der 62-Jährige und schiebt hinterher: "In den 90er Jahren hatten wir schon einmal so ein Klima." Er frage sich, wie gefestigt das Land sei: "Kann das Schlimmste hier passieren?"

 

Angst vor dem Schlimmsten hat die Autorin Mely Kiyak bereits im Frühjahr 2022 in ihrem Buch "Werden sie uns mit dem Flixbus deportieren?" verarbeitet. Darin beschreibt sie ein Gespräch mit dem Schauspieler Mehmet Yilmaz, in dem beide über das sprechen, was heute die öffentliche Debatte beherrscht: die Vertreibung von Migranten.

Kiyak und Yilmaz verfallen nach einigen Deutsche-Bahn-Witzen auf den Flixbus als zuverlässiges Transportmittel; sie machen sich Gedanken über Feinstaubbelastung und den CO2-Fußabdruck. Die Stimmung, die diese frotzelnden Überlegungen begleitet, beschreibt Kiyak so: "Selbst die Dümmsten unter ihnen spüren die Witterung. Dafür braucht es keine Regierungserklärungen, Statistiken, Fernsehbilder. Das liegt in der Luft. Die betroffenen Arten spüren den Wetterumschwung immer ein bisschen früher."

 

Zu den "betroffenen Arten" würden nach den bekannt gewordenen Vertreibungsplänen Millionen Menschen gehören, auch deutsche Staatsbürger und Flüchtlingshelfer. Einer von ihnen ist Marco Frank. Er leitet den Verein Refugium Flüchtlingshilfe im niedersächsischen Braunschweig. Die Vertreibungspläne der AfD passten in das, "was ohnehin passiert", sagt Frank. "Die sich zuspitzende negative Entwicklung bemerken wir schon seit längerem. Daher war ich nicht mehr sonderlich überrascht."

 

Schon seit dem vergangen Frühjahr werde in Deutschland nur noch ordnungspolitisch über Migration gesprochen; es gehe um Abschiebung, Grenzverfahren und Drittstaaten. Frank berichtet, dass sich geflüchtete Menschen, people of color und Migranten, die schon länger hier seien, immer unwohler in Deutschland fühlten. "Zusätzlich wird der Israel-Palästina-Konflikt genutzt, um muslimisch gelesene Menschen in Mithaftung zu nehmen", sagt Frank.

Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland wünscht sich hierzulande eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit rassistischen Strukturen und Organisationen. Der oft geforderten inhaltlichen Auseinandersetzung mit der AfD steht er hingegen kritisch gegenüber. "Muss man sich nicht eher fragen, ob sie das Recht hat, in einem Parlament zu sitzen, das sich der Demokratie und den Menschenrechten verschrieben hat?", fragt er.

 

Auch Hülya Özdag sieht Politik und Medien in der Pflicht: Es sei ihre Verantwortung, den Bürgern ein differenziertes Bild beim Thema Migration zu vermitteln. Özdag: "Wir dürfen den Rechten nicht die Bühne überlassen."