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Zeugnis einer langen Tradition

Jesuskind auf dem Stuhl: Ein neues Trösterlein für das Bamberger Diözesanmuseum

In der aktuellen Weihnachtsausstellung „Willkommene Fremde“ ist ein Bereich den Neuerwerbungen „rund um das Jesuskind“ gewidmet. Dazu gehört auch das, für die Weihnachtsausgabe des Heinrichsblattes gewählte, Jesuskind auf dem Stuhl. In seiner Art und Funktion geht es auf eine lange Tradition in den Frauenklöstern zurück. Dort war es der Brauch, der Novizin beim Eintritt ins Kloster ein sogenanntes Trösterlein als Mitgift der Familie zu schenken. Abgesehen von seiner Funktion als Andachtsbild in ihrer Zelle sollte der „Himmlische Bräutigam“ der jungen Frau bei der Trennung von ihrer Familie Trost spenden und sie lebenslang begleiten. Zu den ältesten überlieferten Jesuskindern gehört das heute als stehendes Jesuskind im Kloster Maria Medingen befindliche Wiegekind. Diese Figur ließ sich 1344 die Nonne Margaretha Ebner, die im regen Briefaustausch mit dem Mystiker Heinrich von Nördlingen stand, von ihm aus Wien zusenden. Während sich seine mutmaßliche Wiege bei einer Untersuchung als eine Zusammenstellung des Historismus erwies, stammt eine andere Wiege im Kölner Museum Schnütgen aus derselben Entstehungszeit wie das Jesuskind. Neben den liegenden Wiegekindern gab es insbesondere auch die auf einem Sockel stehenden Jesuskinder, die in Mechelen und Brüssel um 1500 massenhaft hergestellt worden sind und in Süddeutschland insbesondere mit Michael und Georg Erhard in Verbindung gebracht werden. Ab der späten Barockzeit erfreuten sich die gefatschten, das heißt, die gewickelten, als Klosterarbeit gefassten und in speziell dafür gefertigten verglasten Schreinen aufbewahrten Wachskinder einer besonderen Beliebtheit. Die hier abgebildete Skulptur gehört zu den seltenen Exemplaren eines auf dem Stuhl sitzenden Jesuskindes. Ein solches Jesuskind war nicht nur zum Aufstellen in der Zelle einer Nonne bestimmt, sondern durfte nachweislich im Speisesaal an den festlichen Tafeln teilnehmen. Wie viele anderen, nackt dargestellten Jesuskinder, war auch dieses zum Bekleiden gedacht. Neben dem Stühlchen besaß es wohl auch einen kleinen Tisch und eine Vielfalt an Geschirr. Das hier mit Armlehnen versehene Stühlchen ist aufwändig geschnitzt, vergoldet und mit einem roten seidenen Kissen versehen. Das darauf sitzende, nackte Jesuskind ist aus Holz gefertigt. Es sitzt aufrecht und hebt sein rechtes angewinkeltes Bein hoch, um es über das linke zu legen. Damit wird die Form des Kreuzes angedeutet, die auf seinen künftigen Tod hinweist. Entsprechend dazu zeigt das Kind zur Fußsohle hin, die von einem Kreuznagel durchbohrt werden wird. Diese Ikonografie wird aufgegriffen im etwas nachdenklich wirkenden Gesicht. Die kurz gehaltenen Haarlocken lassen die hohe Stirn zum Vorschein kommen. Die Gesichtspartie zeichnen markante, weit auseinanderliegende Augen mit in der Fassung wiedergegebenen Wimpern, eine kleine Nase und ein seitlich mit feinen Grübchen betontes Kinn aus. Durch die Nacktheit des wohlgeformten Körpers werden die Menschwerdung Gottes und die Tatsache, dass es ein Junge war, zum Ausdruck gebracht. Die bewegte Körperhaltung wie auch die eingesetzten Augen aus Glas lassen die Figur besonders lebendig wirken. Die Machart, die Augen gesondert aus Glas zu fertigen und in die Augenhöhlen einzusetzen, war in Spanien und in Süditalien, insbesondere in Neapel, verbreitet. Ob auch dieses, aus dem Kunsthandel kürzlich erworbene, Jesuskind tatsächlich aus Neapel stammt, müsste näher untersucht werden. Zudem sprächen der im unteren Rücken des Kindes leicht hervortretende und nicht gefasste Dübel sowie eine Abriebstelle oberhalb von ihm für die Möglichkeit, dass das Jesuskind ursprünglich zu einer Madonnenfigur gehört haben könnte und vielleicht erst zu einem späteren Zeitpunkt sein Stühlchen bekam. 

Ausstellung „Willkommene Fremde. Ein Krippenspiel“ lautet der Titel der diesjährigen Ausstellung im Diözesanmuseum und in den Schaufenstern der umliegenden Geschäfte der Bamberger Altstadt. Die Ausstellung ist bis zum 9. Januar 2022, Dienstags bis Sonntags von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Vom 24. bis 27. Dezember ist die Ausstellung geschlossen. Am 31. Dezember und 6. Januar 2022 ist sie geöffnet. Beim Besuch des Diözesanmuseums bitte die tagesaktuellen Bestimmungen zu Covid-19 beachten.

Autor: Dr. Ludmila Kvapilová-Klüsener