· 

Zwischen Weihnachtshoffnung und Reakität

Bethlehem (KNA) – Zu Weihnachten wird wieder alle Welt auf Bethlehem schauen. Wie geht es der palästinensischen Kleinstadt nach zwei Jahren Krieg und unter anhaltender israelischer Besatzung? Und wie kann man in dieser Lage feiern? 

 

Es wird wieder einen Weihnachtsmarkt auf dem Krippenplatz geben, und auch die Lichter am zentralen Weihnachtsbaum sollen in traditioneller Zeremonie entzündet werden. Nach zwei Jahren kriegsbedingter Einschränkungen der Weihnachtsfeiern nahmen viele Bethlehemer und Christen im Heiligen Land die Nachricht der Stadt mit verhaltener Freude auf. Auch die ersten Touristen finden ihren Weg zurück in die Geburtsstadt Jesu. Bis zur Normalisierung ist es aber noch ein weiter Weg. 

 

Noch immer sind die meisten Hotels geschlossen. In den Cafés und Restaurants der Stadt herrscht wenig Betrieb, und viele der traditionellen Kunsthandwerks- und Souvenirläden haben die schweren Eisenrollläden heruntergelassen. In der Geburtskirche mit ihrer Grotte, in der ein silberner Stern auf weißem Marmor den Ursprungsort der Christenheit markiert, herrscht eine ähnliche Leere wie in den Gassen der Altstadt. 

 

Verheerende Folgen

 

Noch 2019, als Bethlehem einen neuen Tourismusrekord brach, verlängerten die Kirchenführer die Öffnungszeiten der Kirche, um des Andrangs Herr zu werden. Seit die palästinensische Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 Südisrael angegriffen und damit einen Mehrfrontenkrieg in Nahost ausgelöst hat, liegt die Tourismusbranche in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten brach – mit verheerenden Folgen für den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft.

 

Die Armut in Bethlehem habe ein ungekanntes Ausmaß erreicht, sagen Ordensleute in der Stadt. Sie haben sich zusammengeschlossen, um den Ärmsten zu helfen. Geld gibt es nicht, aber Lebensmittelpakete, eine Kostenübernahme für ärztliche Versorgung, dringende Rechnungen oder Schulgelder. In Kleiderkammern werden gebrauchte Textilien für symbolische Beträge von einem Schekel (27 Cent) verkauft – ein Weg, den Menschen das Betteln zu ersparen und trotzdem wirksam zu helfen. Manche der Orden haben die Zahl ihrer Gärtner erhöht, um Arbeitsplätze zu schaffen – der Würde der Menschen wegen. 

 

Fast alle in Bethlehem lebten direkt oder indirekt vom Tourismus, erklärt Xavier Abu Eid, geboren in Santiago de Chile als Sohn einer christlichen Familie aus Bethlehems Nachbarort Beit Sahur. Der Politologe hat sich auf Kommunikation, Tourismus und Archäologie spezialisiert und berät das „Negotiations Affairs Department“ der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Früher seien so viele Menschen nach Bethlehem gekommen, dass eine begrenzte Rückkehr von Pilgern noch keine spürbaren Auswirkungen habe, sagt Abu Eid. Vielleicht für die Planung von Ostern, sofern Israel nicht die Weihnachtszeit, wenn alle Welt mit Feiern beschäftigt sei, für einen weiteren Schlag nutzen werde. Dass der relativen Ruhe an den unterschiedlichen Fronten nur bedingt zu trauen sei, glaubten viele in Bethlehem: die Touristenführer, die vor der Grabeskirche vergeblich auf Kundschaft warten, die Händler in den Souvenirläden. 

 

Der Waffenstillstand im Gazastreifen ist fragil. Die Intensität und Taktung der israelischen Luftschläge auf Ziele im Libanon hat trotz Waffenruhe zuletzt zugenommen. Auch eine neue Runde Gewalt zwischen Iran und Israel halten Beobachter für nicht unwahrscheinlich. Und im besetzten Westjordanland, zu dem auch Bethlehem gehört, seien die Trends alarmierend, sagt Abu Eid. Er nennt Abriegelungen wie nie zuvor, massive Gewalt jüdischer Siedler und der israelischen Armee sowie einen unaufhaltsamen Ausbau jüdischer Siedlungen auf palästinensischem Land. 

 

Die Aggression habe mit dem Abkommen im Gazastreifen kein Ende gefunden, auch wenn es „hilft, dass nicht jeden Tag 100 Menschen getötet werden“. Was fehle: ein klarer Weg zum Ende der israelischen Besatzung. 

 

Ginge es nach ihm, hätte die palästinensische Führung „längst den Schlüssel zurückgeben“ müssen, sagt Jack Giacaman. Er betreibt einen der alteingesessenen Familienbetriebe in der Milchgrottenstraße neben der Geburtskirche. Vor allem auf das traditionelle Olivenholzhandwerk sind seine Werkstatt und sein Laden spezialisiert. Wenn die Palästinensische Behörde zurückzöge, müsste „Israel sich damit auseinandersetzen“. So aber werde der Konflikt nur verwaltet, zum Schaden der Palästinenser.

 

Giacaman gehört zu den Stimmen in Bethlehem, die eine Rückkehr zu üppigeren Weihnachtsfestlichkeiten kritisch sehen. „Wie können wir uns freuen, wenn es von unserem Volk Menschen gibt, die nichts mehr haben, kein Essen, kein Dach über dem Kopf?“ Den hunderttausenden Vertriebenen im Gazastreifen droht angesichts von Mangel und Zerstörung ein harter Winter. 

 

Xavier Abu Eid findet die Entscheidung der Stadt trotzdem richtig. Zum einen sei Weihnachten eine Botschaft der Hoffnung, die gerade jetzt wichtig sei. Zum anderen sei das Feiern von Weihnachten „Teil der Resilienz“, so der anglikanische Christ. Die Frage sei nur, „wie man ein Gleichgewicht findet zwischen dem Weihnachtsfest und der Realität in Palästina“.