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Gottes Werk und die Sorgen der Menschen

Kirche und Politik, ein weites Feld: Diskussionsveranstaltung bei der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke in Nürnberg Foto: Bernd Buchner
Kirche und Politik, ein weites Feld: Diskussionsveranstaltung bei der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke in Nürnberg Foto: Bernd Buchner

Nürnberg (buc) – In früheren Jahrzehnten riefen katholische Bischöfe und Priester ihr Kirchenvolk gern von der Kanzel herab dazu auf, konservativ zu wählen. Drei Viertel der Schäfchen folgten ihnen brav. Die Zeiten haben sich gewandelt. Heute attestiert die Bischofskonferenz den Unionsparteien in der Migrationspolitik eine Abkehr vom christlichen Menschenbild, auch bei Klimaschutz oder Kapitalismuskritik sind linke, linksliberale Kräfte und Kirchen oft Geschwister im Geiste.

 

Das wiederum ruft die Konservativen auf den Plan. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) mahnte die Kirchen vor geraumer Zeit missmutig zu Zurückhaltung in politischen Fragen („Weniger Tempolimit, mehr Glaube“), und CSU-Chef Markus Söder droht den Bischöfen durch die Blume, ihnen den staatlichen Geldhahn zuzudrehen. Sollen sich also die Christen, Amtskirche wie einfache Gläubige, aus tagespolitischen Fragen heraushalten, sich auf Liturgie, Verkündigung und Nächstenliebe beschränken, mithin auf ihr „Kerngeschäft“, wie Klöckner sagt?

 

Frage nach dem Kerngeschäft

 

Erzbischof Herwig Gössl hat dazu eine klare Haltung. „Ich bin kein Parteipolitiker, allerdings bin ich interessiert an politischen Fragen“, sagt er bei einer Diskussionsrunde anlässlich der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke (AKSB) im Nürnberger Caritas-Pirckheimer-Haus. „Je mehr sich Kirche auf ihr Kerngeschäft bezieht“, fügt er in Anspielung auf das Schlüsselwort in den Äußerungen der Parlamentspräsidentin hinzu, „umso politischer muss sie sein oder werden.“

 

Die logische Begründung dafür schöpft der Erzbischof, wie sollte es anders sein, aus der Theologie. Es sei die Botschaft des christlichen Glaubens, zu verkünden und zu bezeugen, dass Gott Mensch geworden, auf die Erde gekommen sei. „Wenn dieser Gott sich so herabbegibt, sich um die Belange der Menschen kümmert“, so Gössl“, „dann ist das selbstverständlich das, was ich unter Politik verstehe, unter politischem Handeln.“ Auch der Gottesdienst müsse offen sein für die Belange, Anliegen und Sorgen, die die Menschen mitbrächten. die Fragen, die sie umtrieben, seien nun einmal politische Fragen. „Es geht nicht, ohne politisch zu sein.“

 

In der Runde und im weit überwiegenden Teil des Publikums stoßen Gössls Äußerungen auf Zustimmung. Auch für seine Haltung gegenüber einem möglichen AfD-Verbot gibt es viel Verständnis. „Aus dem Bauch heraus“ würde er dem Ansinnen durchaus zustimmen, so der Erzbischof. Doch dann suche sich die Unzufriedenheit neue Bahnen, extremes Gedankengut bleibe verfänglich. Mit einem Verbot bekomme man das nicht aus der Welt geschafft. „Was steckt dahinter“, fragt der Bamberger Oberhirte, „dass die anderen Parteien so abgestraft werden?“

 

Mathias Kühne von der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) in Sachsen-Anhalt hatte zuvor eindrücklich geschildert, wie das Wirken der rechtspopulistischen Partei das gesellschaftliche Klima in Ostdeutschland verändert, wie Angst und Verunsicherung immer weiter um sich greifen. Als Mitarbeiter im Projekt „Jerichower Impulse“ erlebt Kühne so gut wie jeden Tag, wie schwer es ist, bestehende Gemeinschaften zu bewahren, die Menschen im Gespräch zu halten, ihnen geschützte Räume zu ermöglichen, auch in den katholischen Pfarreien.

 

Ein Drittel wählt die AfD

 

Nach Schätzungen werden bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Herbst 2026 auch rund ein Drittel der Katholiken die AfD wählen. Zu einem Parteiverbot sagt Kühne ähnlich wie Gössl: „Ich bin gespalten.“ Einstellungen und Motivationen der Menschen gingen dadurch nicht verloren. Der Sozialarbeiter unterscheidet zwischen Mitgliedern und Wählern der Rechtspopulisten; er hat im eigenen Freundeskreis Menschen, die der AfD zuneigen – und scheut sich, mit ihnen zu brechen: „Wenn der letzte Faden reißt, verliere ich diese Person ganz.“

 

Zur AKSB gehören bundesweit mehrere Dutzend Einrichtungen der politischen Bildung für Erwachsene und Jugendliche. Ihr Ziel ist es, christliche Werte in die Gesellschaft zu tragen. Geschäftsführerin Andrea Rühmann schildert die Reaktionen auf eine Kampagne, die ihr Verband vor einiger Zeit gestartet hat, um sich gegen Populismus zu positionieren und für die Stärkung der bedrohten Demokratie im Land. „Es gab wüste Beleidigungen und Beschimpfungen im Netz“, berichtet sie. „Gedanklich wurden wir auf den Scheiterhaufen geworfen.“ Zwar habe sie keine körperlichen Androhungen oder Gewalt erlebt, so Rühmann. Aber: „Sobald wir uns gegen rechtsextrem äußern, gelten wir als extrem links oder linksgrün.“ Man werde sofort in eine politische Ecke gerückt. „Wir bewegen uns zwischen Polen, es scheint keine Mitte mehr zu geben.“

 

„Der Umgangston ist sehr rauh geworden“, hatte auch Erzbischof Gössl zuvor festgestellt. Er war im Sommer nach seiner unglücklich formulierten Kritik an der Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf heftig angegangen worden, diesmal nicht von rechtspopulistischer Seite, sondern aus dem entgegengesetzten Spektrum. „Die Art und Weise unseres Diskurses neigt dazu, in Extreme zu fallen“, bilanziert Gössl. „Einfache Antworten verfangen viel eher als fundierte Analysen. Aber die Welt ist nicht schwarz oder weiß, sondern immer vermischt.“