· 

Eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit

Moderator Kurt Heidingsfelder (rechts) mit Thorsten Mittag vom Paritätischen Wohlfahrtsverband (von links), Diakonie-Vorständin Sandra Schuhmann sowie der Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung, Katrin Staffler. Foto: B. Buchner
Moderator Kurt Heidingsfelder (rechts) mit Thorsten Mittag vom Paritätischen Wohlfahrtsverband (von links), Diakonie-Vorständin Sandra Schuhmann sowie der Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung, Katrin Staffler. Foto: B. Buchner

Nürnberg (buc) – Fast ganz zum Ende der Diskussion, die Aha-Erlebnisse ebenso wie Ratlosigkeit und Kopfschütteln hervorrief, brachte es Siegfried Grillmeyer, Leiter der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus, aus dem Publikum heraus auf eine einfache Formel: „Wir haben hier einen Elefanten im Raum. Es geht um Verteilungsgerechtigkeit. Die Stärkeren sollen mehr tragen als die Schwachen.“ Damit war beim Sozialpolitischen Buß- und Bettag von Kirchen und Gewerkschaften eigentlich alles gesagt, aber einig wurde man sich an diesem Abend in der Nürnberger Peterskirche dennoch nicht.

 

„Die Pflege – selbst ein Pflegefall?“ stand als Motto über der Veranstaltung, und das brisante Thema war sicherlich bestens gewählt, war doch der arbeitsfreie Buß- und Bettag 1995 bundesweit außer in Sachsen ausgerechnet deshalb abgeschafft worden, um die damals neu eingeführte Pflegeversicherung zu finanzieren. Drei Jahrzehnte später steht diese vor massiven finanziellen Problemen, um nicht zu sagen: Der Kollaps ist nicht mehr fern, ganz abgesehen von den Zuständen in der Pflege selbst, mit ihrem Fachkräftemangel, der Überforderung von Beschäftigten, Patienten und deren Familien.

 

Situation läuft aus dem Ruder

 

Was Grillmeyer mit der Verteilungsgerechtigkeit meinte, bezog sich im Kern auf die Forderung nach einer sogenannten Pflegevollversicherung, die Thorsten Mittag vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in seinem einleitenden Vortrag erhoben hatte. Er griff damit einen seit einiger Zeit diskutierten Vorschlag von Gewerkschaften und Berufsverbänden für eine zukunftsfeste Pflegeversicherung auf. Mittag mahnte nachdrücklich einen „Systemwechsel“ an und warnte davor, die Situation aus dem Ruder laufen zu lassen. „System, Einrichtungen und die pflegebedürftigen Menschen werden überlastet“, so der Fachmann.

 

Hauptziele des Vorschlags: aus der bisherigen Teilversicherung eine Vollversicherung machen, und die auch in der Pflege praktizierte Zwei-Klassen-Medizin durch eine Bürgerversicherung unter Einbeziehung von Beamten und Selbstständigen ersetzen. Mittag zufolge ließe sich der Wechsel fast aufkommensneutral machen, der Pflegebeitrag der Arbeitnehmer stiege um nur 0,09 Prozentpunkte.

 

In Deutschland gibt es gegenwärtig rund 5,6 Millionen Pflegebedürftige. Die Zahl hat sich binnen weniger Jahre nahezu verdoppelt, kein Experte hat das so kommen sehen. 800 000 der Betroffenen werden vollstationär versorgt, die übrigen häuslich oder teilstationär. Weit über eine Million Menschen sind in der Pflege beschäftigt, die Löhne sind zuletzt deutlich gestiegen, aber dies dreht auf der anderen Seite natürlich an der Preisschraube: Monatlich an die 3000 Euro Eigenanteil, wenn nicht mehr, kostet inzwischen ein Platz in einem Pflegeheim. Ein Drittel der Betroffenen ist auf Sozialhilfe angewiesen, um die Kosten zu tragen.

 

Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände, Diakonie und Caritas, tragen die Forderung nach einer solidarischen Pflegevollversicherung nicht mit. Die bayerische Diakonie-Vorständin Sandra Schuhmann („Ein Systemwechsel würde zu lange dauern“) plädierte stattdessen für den sogenannten Sockel-Spitze-Tausch.  Bisher tragen die Versicherungen die Grundkosten der Pflege, den Sockel. Was darüber hinausgeht, bleibt an den Pflegebedürftigen hängen, auch künftige Kostensteigerungen. Dreht man das um, blieben die Belastungen für die Patienten künftig gleich.

 

Katrin Staffler, die neue Pflegebevollmächtigte des Bundes, nahm nur vage zu den Vorschlägen Stellung, zu einer solidarischen Pflegevollversicherung äußerte sie sich gar nicht. Sie will die Empfehlungen einer Bund-Länder-Kommission abwarten, dann will die Koalition aus Union und SPD ein Gesetzgebungsverfahren zu einer weiteren Pflegereform beginnen. Zu erwarten ist immerhin, dass pflegende Angehörige künftig stärker unterstützt werden sollen.