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Forscher: Religiöse Influencer sind vielfältiger als gedacht

Bonn (KNA) – Die Szene religiöser Influencer ist vielfältiger als vermutet, sagen Experten. Im Interview mit dem kirchlichen Internetportal katholisch.de erklärte Jan Philipp Hahn am Dienstag, man müsse wahrnehmen, dass es hier "nicht nur eine Zielgruppe" gebe, und "nicht notwendigerweise eine Korrelation mit rechten oder illiberalen Haltungen".

 

Hahn von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen forscht gemeinsam mit der Bochumer Religionssoziologin Anna Neumaier zu religiösen Influencern. Neumaier sagte, der Algorithmus begünstigte polarisierende, teils reißerische, populistische Inhalte. Aber es gebe auch andere Fälle: "zum Beispiel queere Menschen, die in Sozialen Netzwerken die Repräsentation sehen, die es bei ihnen vor Ort nicht gibt". So helfe der Austausch im Internet, "die eigene Identität zu verhandeln und neu zu betrachten". Soziale Medien böten manchen eine Ergänzung zu einer Einbindung in eine christliche Gemeinschaft, für andere aber auch einen Ersatz dafür.

 

Von Politik bis Glow

 

Hahn verwies auf Influencer, die ihr religiöses Deutungsangebot mit politischen Ansichten verknüpfen: "Das ist in vielen Fällen sehr attraktiv, weil da nicht nur eine Antwort darauf geliefert wird, an was man glauben und wie man sich verhalten sollte. Sondern es werden gesellschaftliche und politische Positionen gleich mitgeliefert." Besonders beliebte Themen seien hier Familienkonzepte, Abtreibung oder queere Menschen.

 

Auf der anderen Seite gebe es religiöse Influencer, die ihren Glauben und ihre theologischen Ansichten mit einer Art Erfolgsnarrativ verbänden. "Im Moment ganz prominent in den Medien ist etwa der Jesus-Glow, wo junge Frauen zeigen, wie die Hinwendung zum Glauben an Jesus Christus sich positiv auf ihr Äußeres niederschlägt, wie sie auf einmal strahlen." Bei Männern werde der Glaube oft mit Bodybuilding-Aktivitäten verbunden. "Es geht also um einen körperlichen oder charakterlichen Fortschritt durch den Glauben", so Hahn.

 

Überrepräsentiert seien in Sozialen Medien evangelikale Accounts, die eine starke Jesusfrömmigkeit propagierten. Doch es gebe auch landeskirchliche Pfarrpersonen, die von ihrem Glauben erzählen, orthodoxe Kirchenvertreter und Katholiken. Was dabei auffalle: "Die Herkunftstradition, die Konfessionalität verliert an Gewicht. Es geht vielmehr vom Individuum aus." Content Creatoren würden sich die Frage stellen: "Was funktioniert für mich persönlich?" Das sei wichtiger als die eigene kirchliche Tradition.

 

Persönlicher Zugang

 

Wie Neumaier erläuterte, wird Religion sehr subjektiviert dargestellt. "Das deckt sich mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen: Die Privatisierung von Religion, die Subjektivierung von Religion. Man selbst ist der Referenzpunkt, und das trifft sich dann am besten mit einer Kommunikation, die ähnlich funktioniert." In Sozialen Medien würden Fragen nach der Lebensführung im Glauben, Sexualitätsfragen und Identitätsfragen besprochen, die in der Gemeinde vor Ort vielleicht nicht adressiert werden. So sei religiöse Online-Nutzung ein Puzzlestein in einem größeren Feld der Auseinandersetzung mit Glauben und Religion.