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Kirchen durchaus willkommener Partner

Der Politikwissenschaftler Professor Dr. Karsten Fischer zeigte in seinem Impulsreferat auf, dass Kirchen in einer Demokratie durchaus willkommene Teilnehmer des gesellschaftlichen Diskurses sind. Foto: Andreas Kuschbert
Der Politikwissenschaftler Professor Dr. Karsten Fischer zeigte in seinem Impulsreferat auf, dass Kirchen in einer Demokratie durchaus willkommene Teilnehmer des gesellschaftlichen Diskurses sind. Foto: Andreas Kuschbert

Michelfeld (ku) – Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte Anfang des Jahres die Kirchen dazu auf, sich stärker auf „christliche Themen“ zu konzentrieren. Mitte April monierte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, dass sich Kirchen angeblich zu stark in die Politik einmischen. Und Erzbischof Herwig Gössl erfuhr heftigen Gegenwind, als er Kritik in der Causa der vorgesehenen Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf äußerte. Wie steht es nun um das Verhältnis von Kirche und Staat? Wie politisch darf und soll Kirche sein? Mit diesem Thema befassten sich die Mitglieder des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Bamberg bei ihrer Herbstvollversammlung in den Räumen von Regens Wagner in Michelfeld.

 

Beim diesjährigen Heinrichsfest hatte der Diözesanrat an seinem Stand genau die Frage der Vollversammlung auch den Besucherinnen und Besuchern gestellt. Das Ergebnis: Kirche soll sich mehr in die Politik einmischen, soll bei wichtigen Frage ihre Stimme erheben. Das betonte auch Professor Dr. Karsten Fischer, Inhaber des Lehrstuhls für Politische Theorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, in seinem Impulsreferat zu Beginn der Vollversammlung.

„Die Kirchen dürfen zu allen Themen ihre Meinungen sagen, dürfen ganz klar Position beziehen, dürfen Forderungen stellen, dürfen Kritik äußern ohne jede Rücksicht“, so Fischer. „Aber die Kirchen müssen am Ende auch akzeptieren, dass der demokratische Prozess ein eigener Meinungsbildungsprozess ist und dass am Ende ein anderes Ergebnis herauskommt, als es sich die Kirchen gewünscht hätten“.

 

In diesem Zusammenhang brachte Professor Fischer den Begriff der „religiösen Liberalität“ ins Gespräch, bei dem die Glaubensgemeinschaften freiwillig bereit sind, „den Vorrang demokratischer politischer Entscheidungen gegenüber weltanschaulichen Geltungsansprüchen zu akzeptieren und konkurrierende religiöse Überzeugungen zu tolerieren.“ Fischer weiter: „Wenn das befolgt wird, dann sind Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften sehr willkommene Teilnehmer des gesellschaftlichen Diskurses, der so wichtig ist in einer Demokratie. Und dann gibt es auch kein Problem beim Verhältnis von Kirche und Politik.“ 

 

Wie der Gast aus München ausführte und dabei den amerikanischen Politikwissenschaftler Adam Przeworski zitierte, bestehe das „Wunder der Demokratie“ darin, „dass die widerstreitenden politischen Kräfte den Abstimmungsergebnisse gehorchen, da sie davon ausgehen, dass sie in der Gegenwart oder zumindest in nicht allzu ferner Zukunft mehr erreichen können, wenn sie ihre Interessen innerhalb des institutionellen Rahmens durchsetzen als wenn sie diesen bekämpfen“. 

 

Demgegenüber gebe es nach den Ausführungen des Referenten eine Alleinherrschaft mit einer ungeteilten Macht, bei der Autokraten als Legitimation für ihr Handeln zwar Wahlen wollen, das Ergebnis aber schon von vornherein feststeht. 

In einem Interview am Rande der Vollversammlung betonte Professor Karsten Fischer, dass Spannungen zwischen Politik und Gesellschaft kein neues Thema sind, sondern die Menschheitsgeschichte schon lange begleiten. Seit einiger Zeit gebe es jedoch ein sehr gutes Lösungsmodell, da der liberal-demokratische Verfassungsstaat den Kirchen so viel Freiheiten ermögliche, wie nie zuvor. So schütze der Artikel 4 des Grundgesetzes alle Glaubensgemeinschaften, sichere ihnen Religionsfreiheit zu, erlaube ihnen, sich frei zu betätigen, sich frei zu äußern und gebe ihnen die Möglichkeit zur aktiven Mitgestaltung. „Das ist die große Leistung der Demokratie“, so Fischer. 

 

Seit die katholische Kirche mit dem 2. Vatikanischen Konzil ihre Voreingenommenheit gegenüber dem Staat abgelegt habe, habe sie sich zu einer wichtigen demokratieunterstützenden Kraft entwickelt, „und das nicht zu ihrem Nachteil“. Nach Fischers Worten sollte man darauf schauen, was Kirchen seit dieser Zeit haben durchsetzen können, „und das ist weitaus mehr, als das, was sie zugestehen mussten“. 

 

Mit Blick auf die verschiedenen Wertevorstellungen innerhalb der Gesellschaft müssen sich die Kirchen laut Fischer deutlich positionieren. Sie seien dazu besonders geeignet, „weil sie nicht nur auf elitärer Ebene mit anderen Funktionsträgern diskutieren, sondern weil sie nahe am Menschen sind und sie ernst nehmen, mit ihnen ins Gespräch kommen, ihre Sorgen ernst nehmen“. Dies sei eine wichtige Funktion der Kirche, die die Politik so nicht leisten könne, „weil sie nie so nahe am Menschen sein kann, wie es die Kirche ist“. 

 

Im Laufe des Gedankenaustauschs kam auch das Gespräch auf das Thema AfD und die deutlichen Aussagen der Kirchen. Dabei unterstützte Professor Karsten Fischer die These, dass die Partei für Christen nicht wählbar ist. „Ich bin froh, dass die katholische Kirche hier so eindeutig ist“, so der Referent. 

 

In diesem Punkt klinkte sich dann auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann ein, der als Gast zur Vollversammlung nach Michelfeld gekommen war. Nach Herrmanns Aussage, der seit diesem Jahr auch Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken ist, ist die grundsätzliche Haltung gegenüber der AfD klar, „aber im Einzelfall muss das gut begründet werden“. So müsse die Kritik konkret an Punkten festgemacht und nicht nur pauschal gesagt werden, dass die AfD nicht wählbar sei.

 

Wie zuvor schon Professor Fischer, nahm auch der Minister Stellung zum kürzlich veröffentlichten Lehrschreiben von Papst Leo XIV. und ging dabei besonders auf das Thema Armut ein, das in „Delexit te“ einen großen Raum einnimmt. 

So betonte Herrmann, dass ihm in den Ausführungen des Papstes der Blick darauf fehle, dass vor 70 Jahren drei Milliarden Menschen auf der Welt lebten, heute es jedoch über acht Milliarden sind. „Die Folgen daraus werden in keiner Analyse wirklich bedacht“, so der CSU-Politiker. 

 

Grundsatzthesen

 

Im weiteren Verlauf der Vollversammlung diskutierten die 51 anwesenden Diözesanrätinnen und -räte in Kleingruppen über die Themen Klimapolitik, Engagement von Christinnen und Christen in der Kommunalpolitik, Asylpolitik sowie soziale Entwicklungen und erarbeiteten jeweils eine Grundsatzthese, wie sich der Bamberger Diözesanrat zum jeweiligen Thema positionieren und entsprechend in Zukunft handeln soll.

 

So lautet die Grundsatzthese zur Klimapolitik: „Jeder Christ und jede Christin muss Vorbild gegenüber Staat, Politik und Gesellschaft sein. Sie fordert gegenüber der Politik eine Schwerpunktsetzung auf klimafreundliche Innovationen, die gemeinsam durch Industrie, Forschung und Gesellschaft erreicht werden und zur Enkeltauglichkeit der Erde beitragen.“

 

Zum Thema „Soziale Entwicklungen“ wurde folgende Grundsatzthese formuliert: „Jeder Einzelne ist gefordert, bei allen sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen das christliche Menschenbild als Haltung zugrunde zu leben. Dabei soll darauf hingewirkt werden, dass bei allen sozialen und gesellschaftlichen Themen die katholische Soziallehre im Mittelpunkt steht und zusätzlich den betroffenen Personengruppen Gehör verschafft und eine Stimme gegeben wird. Als Diözesanrat sprechen wir von uns aus relevante Themen an und halten sie in der Öffentlichkeit wach.“

 

In der Gruppe „Kommunalpolitik“ wurde diese These erarbeitet: „Wir als Diözesanräte sind aufgefordert, uns in der Kommunalpolitik zu engagieren und zu positionieren. In Sachthemen gilt es mit Argumenten – getragen von unseren christlichen Werten – präsent zu sein, zu überzeugen und diese Argumente über die (sozialen) Medien zu kommunizieren.“

 

Die Arbeitsgruppe „Asylpolitik“ einigte sich auf folgende Grundsatzthese: „Die christliche Nächstenliebe verpflichtet uns zur Solidarität mit allen Notleidenden und Schutzsuchenden, die wir aufnehmen sollten, solange die Gefahr / Notsituation in ihrem Heimatland besteht und solange sie unsere Gastfreundschaft nicht missbrauchen.“

 

Gottesdienst

 

Den Auftakt zur Herbstvollversammlung des Diözesanrats bildete ein gemeinsamer Gottesdienst in der Michelfelder Pfarrkirche St. Johannes der Evangelist. 

 

Generalvikar Prälat Georg Kestel, der den Gottesdienst zusammen mit dem Geistlichen Begleiter des Diözesanrats, Domkapitular Dr. Norbert Jung hielt, ging in seiner Predigt auf das Heilige Jahr ein und verwies darauf, dass Papst Paul VI. es eigentlich abschaffen wollte. Letztendlich habe der Papst das Heilige Jahr dann doch fortgeführt, aber mit „Erweckung – Konfrontation – Reform“ einen Dreiklang formuliert, unter dem künftig ein solches Jahr stattfinden solle.

 

Ein Dreiklang, der nach Kestels Worten auch heute wichtig sei. So müsse immer wieder der Glaube in den Herzen der Menschen neu geweckt werden, müsse aber auch deutlich gemacht werden, dass Glaube kein Gegensatz oder Feindbild ist, sondern die Gläubigen das Salz der Erde sind und sie den Glauben in die Welt bringen müssen. 

 

Und schließlich müsse laut dem Bamberger Generalvikar allen Menschen klar sein, dass Glaube nicht statisch ist, sondern es im Laufe der Zeit Reformen geben müsse. „Evangelisierung“, so Georg Kestel, „ist immer gefordert und ist ein großes Reformprogramm.“ 

 

So wünschte sich Prälat Kestel, dass der Dreiklang „Erweckung – Konfrontation – Reform“ nicht nur die Vollversammlung des Diözesanrats der Katholiken in Michelfeld bestimmt, sondern immer das Denken und Handeln der Menschen.