
Bonn (KNA) – Volle Brotkörbe, Sonnenblumen, mit Weintrauben gefüllte Butten. Pure Landlust: Zum Erntedankfest am Sonntag bieten viele ländliche Regionen Deutschlands ein Stückchen heile Welt. Auch in vielen Kirchen lassen sich bei den Sonntagsgottesdiensten farbenprächtige Bilder sammeln: mit Früchten geschmückte Altäre, mit Ähren, Stroh und Blumen gewundene Erntekränze. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erhält in Tangermünde in Sachsen-Anhalt von kirchlichen Verbänden und dem Bauernverband die Erntekrone überreicht.
Aber der Dank für die Ernte und die Bitte ums tägliche Brot, die zum Erntedankfest dazugehören, sind in Zeiten von Klimawandel, Krieg und massenhaftem Hunger nicht unbeschwert. Dabei klingt die Erntebilanz der deutschen Bauern in diesem Jahr nicht schlecht: eine höhere Getreideernte als in den vergangenen zwei - schlechten - Jahren, rekordverdächtige Ergebnisse bei Kartoffeln, die Apfelernte zurück auf über eine Million Tonnen. Und viele Winzer erwarten qualitativ einen Top-Jahrgang mit früh reifen, aromatischen Trauben.
Schlechte Marktsituation
Doch zugleich beklagt Bauernverbands-Präsident Joachim Rukwied eine schlechte Marktsituation für die deutschen Bauern. Schlechte Preise für Getreide, stark gestiegene Betriebsmittelkosten und eine Vielzahl an politischen und gesetzlichen Vorgaben: Bei vielen Bauern herrscht eher Landfrust. Dazu kommt, dass Brüssel ab 2028 das milliardenschwere Agrar-Budget reformieren und den Landwirten im Rahmen des neuen mehrjährigen Finanzrahmens weniger direkte Hilfen zukommen lassen will.
Auch in Zeiten des Klimawandels und des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine ist die Ernährung wieder politisch geworden. Für die Rinderzucht in Deutschland wird der Amazonas-Regenwald zerstört. Dem Agrarsektor wird ein hoher Anteil am Klimawandel und Artenschwund zugesprochen.
Gefährdetes Saatgut
Auch die Rolle großer Agrarkonzerne sorgt für Bedenken: Vor wenigen Tagen haben kirchliche Entwicklungsorganisationen und Vertreter von Landwirten zum Erntedankfest von der Bundesregierung mehr Einsatz für den Schutz von Saatgut gefordert. Große Agrarkonzerne gewännen durch Patente immer mehr Kontrolle über den Markt, kritisierten unter anderen die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Brot für die Welt, das katholische Entwicklungs-Hilfswerk Misereor, die Katholische Landvolkbewegung und die Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten in der Evangelischen Kirche. Vielfältiges und lokal angepasstes Saatgut stehe immer weniger zur Verfügung. Außerdem befürchtet das Bündnis, dass durch eine mögliche Aufweichung des EU-Gentechnikrechts eine gentechnikfreie Saatgut- und Lebensmittelerzeugung nicht mehr möglich sein werde.
Zugleich ist die weltweite Ernährungssituation durch massive Widersprüche gekennzeichnet: Einerseits schätzt die Welternährungsorganisation FAO die Zahl der hungernden und unterernährten Menschen auf 673 Millionen. Auf der anderen Seite landen in Deutschland jedes Jahr fast elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll - 60 Prozent davon in privaten Haushalten. Eine Vernichtung wertvoller Nahrungsmittel, die die Bundesregierung und die Initiative "Zu gut für die Tonne" dringend vermindern wollen.
Mehr fettleibige als unterernährte Kinder
Zur Unterernährung kommt mittlerweile eine weltweite Fehlernährung: Anfang September teilte das UN-Kinderhilfswerk Unicef mit, dass in diesem Jahr erstmals mehr Kinder und Jugendliche weltweit fettleibig als untergewichtig seien. Untergewicht sei bei Kindern im Alter von fünf bis 19 Jahren seit 2000 von rund 13 Prozent auf 9,2 Prozent zurückgegangen, während Fettleibigkeit von drei Prozent auf 9,4 Prozent gestiegen sei. Sie tritt erstmals in den meisten Regionen der Welt häufiger auf als Untergewicht - mit Ausnahme von Subsahara-Afrika und Südasien.
Gesprächsstoff genug also, wenn am Sonntag Deutschlands vermutlich größter Erntedankumzug im ostwestfälischen Herzebrock-Clarholz bei Gütersloh startet. Erwartet werden Tausende Besucher. Der Umzug beginnt mit Erntedankgottesdiensten in der katholischen und evangelischen Kirche. Auf farbenfrohen Motiv- und Blumenwagen sorgen Tausende Dahlienblüten und Sonnenblumen für leuchtende Farben. Seit Anfang der 50er Jahre lassen die Veranstalter mit heimischen Gemüse- und Obstsorten geschmückte Wagen und Kornbilder entstehen. Rund 1.000 Menschen gehen mit. Feuerwehr, Schützen, Schulen und kirchliche Verbände beteiligen sich. Fast 60 Wagen und Fußgruppen ziehen hinter der Erntekrone durch den Ort.