Hamburg (KNA) – Die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz vermisst eine Solidarität mit Israelis, die sich kritisch über ihre eigene Regierung äußern. "Oppositionelle iranische oder russische Filmemacher und Autoren sind international hoch angesehen, werden für ihren Widerstand gepriesen. Aber bei Israelis ist das anders, auch wenn sie Regierungskritiker sind. Sie gelten als von Natur aus böse", sagte Illouz im "Spiegel"-Interview (Mittwoch). Sie hat kürzlich den Band "Der 8. Oktober" veröffentlicht.
"Viele Israelis fühlen sich in der Falle zwischen einer extremistischen Regierung und der Ablehnung durch den Rest der Welt", so Illouz. Statt Israel zu diffamieren, solle man denen die Hand reichen, die gegen die Regierung seien und Frieden wollten, und sie stärken. "Stattdessen hat die Welt, besonders die Linke, die Opposition innerhalb Israels isoliert und geschwächt." Die Autorin weiter: Israelische Akademiker und Künstler zu boykottieren, befriedige "das gute Gewissen westlicher Linker", aber es nütze Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
Frage der Perspektive
Angesichts von Reaktionen auf den Gaza-Krieg außerhalb Israels sagte Illouz, es sei "einfach nicht dasselbe, diese schrecklichen Bilder von einem sicheren Ort in den USA oder Europa aus anzusehen, weit weg vom Kriegsgeschehen - oder als jemand, bei dem das Haus des Nachbarn vor einer iranischen Rakete zerstört wurde, dessen Cousin noch in einem Hamas-Tunnel ist oder dessen Oma am 7. Oktober im Kibbuz Be'eri getötet wurde". Es gebe so gut wie niemanden in Israel, der nicht um jemanden trauere; der nicht persönlich betroffen sei.
"Ich erinnere mich nicht an viele Kriege, die besonders menschlich waren. Europa und die USA haben in dieser Hinsicht eine desaströse Vergangenheit und sind am wenigsten geeignet, Lektionen zu erteilen", betonte die Soziologin. Zugleich sei die Geschichte der Juden einzigartig. Israels geografische Umgebung sei dem Land gegenüber feindlich eingestellt. "Daraus erklärt sich, warum sie auf Macht, Gewalt und Stärke setzen." Die Angst vor Auslöschung verfolge sie.
"Paria-Staat"
Es bestehe kein Zweifel daran, dass Israel von Extremisten regiert werde, so Illouz. "Aber sollte Israel deshalb als Paria-Staat behandelt werden? Israel ist nicht Iran." Es müssten alle diplomatischen Wege ausgeschöpft werden, um Israel "einzuhegen". Den Staat jedoch zum Unberührbaren zu erklären, helfe niemandem, auch nicht den Palästinensern. Zudem müsse es eine "nüchterne Evaluation" darüber geben, was Israel im Gazastreifen mache; eine Prüfung, die frei sei von "antisemitischen Dämonisierungen".