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Sie sorgen für die blutigen Details

Auszubildende der Bundespolizei vom Standort Bamberg wurden als Mime für die Großübung eingesetzt und von der Malteser Notfalldarstellung als Verletzte geschminkt. Foto: Benjamin Kemmer
Auszubildende der Bundespolizei vom Standort Bamberg wurden als Mime für die Großübung eingesetzt und von der Malteser Notfalldarstellung als Verletzte geschminkt. Foto: Benjamin Kemmer

Bamberg (kem) – Ein sonniger Tag im Bamberger Fuchspark-Stadion, gut 200 Menschen verfolgen ein Fußballspiel, als das Unvorstellbare passiert. Ein frustrierter Ex-Mitarbeiter des Fußballvereins tötet im VIP-Raum eine Person, rennt auf die Tribüne und sticht dort wahllos auf Zuschauerinnen und Zuschauer ein, verletzt dabei über 20 Personen und nimmt auf der Flucht noch zwei Geiseln. 

 

Was sich anhört wie ein schrecklicher Amoklauf, war eine groß angelegte Katastrophen-Übung, an der rund 350 Einsatzkräfte von Polizei, Rettungsdienst, Katastrophenschutz und Feuerwehr sowie 130 Statistinnen und Statisten teilgenommen haben. In Zusammenarbeit mit den Kliniken Bamberg, Burg­ebrach und Scheßlitz sowie der Integrierten Leitstelle Bamberg-Forchheim wurde so für den absoluten Ernstfall trainiert. 

 

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der selbst vor Ort die Übung gemeinsam mit Vertretern von Berufsfeuerwehren aus ganz Bayern verfolgt, betont die Wichtigkeit solch groß angelegter Testläufe: „Durch realitätsnahe Szenarien kann die organisationsübergreifende Zusammenarbeit aller Blaulichtorganisationen im Ernstfall geübt und weiter verbessert werden. Neben der guten Zusammenarbeit von Bayerischer Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr kommt es im Bevölkerungsschutz auf verlässliche Planung, gute Vorbereitung und die Vernetzung aller relevanten Akteure an. Die aktive Beteiligung der drei Kliniken in Stadt und Landkreis Bamberg an der Übung begrüße ich daher ausdrücklich.“ 

 

Eine ganz besondere Einheit

 

Auch die Malteser sind an diesem Tag natürlich involviert. Doch nicht nur der Rettungsdienst hat seine Aufgaben bei der Großübung. Einer ganz speziellen und ehrenamtlichen Einheit kommt eine besondere Aufgabe zu: Die Notfalldarstellung sorgt dafür, dass die realistischen Bedingungen, die von den jeweiligen Übungsleitern vorbereitet wurden, auch realistisch dargestellt werden. 

 

Ein Blick in die Vorbereitung: Ehe gegen 9 Uhr mit dem Eingang des ersten Notrufes die eigentliche Katastrophenschutzübung losgeht, sind Juliana Sitzmann und ihr Team von der Notfalldarstellung bereits zwei Stunden an der Arbeit. Gemeinsam mit sieben weiteren Kolleginnen und Kollegen sorgt Sitzmann dafür, dass die Verletzten auch realistisch aussehen. Ausgerüstet mit Kunstblut, Schwämmchen und Make Up präparieren sie über 20 Mimen, die die Verletzten bei dem Amoklauf darstellen sollen. Dafür gibt es ganz genaue Anweisungen, was vorbereitet werden soll. „Hier gibt es zum Beispiel Menschen mit Schürfwunden oder Prellmarken am Brustkorb. Auch Beinbrüche können wir visuell darstellen. Aber viel kommt dann auch auf die schauspielerischen Fähigkeiten der jeweiligen Person an“, erklärt Sitzmann. 

 

So fragt eine Mime beispielsweise, wie sie eine Fraktur des Knöchels darstellen soll. „Du erklärst, dass Dir der Fuß wehtut. Und wenn Dich ein Sanitäter oder Polizist bittet, aufzustehen und zu laufen, musst Du beim Auftreten wieder zusammensacken und vor Schmerzen schreien“, weist Juliana Sitzmann an. 

 

Man merkt ihr und dem ganzen Team an, dass es nicht nur das blanke Schminken und Darstellen von Verletzungen ist, das ihnen Spaß macht. Daher engagieren sie sich zusätzlich in der Notfalldarstellung. Denn viele sind auch in anderen Bereichen bei den Maltesern ehrenamtlich tätig. 

 

Im Januar vergangenen Jahres gründete sich die Gruppe und ist seitdem diözesanweit unterwegs. „Aktuell besteht das Team aus Bambergern und Waischenfeldern und wir kommen überall dorthin, wo wir gebraucht werden“, erzählt Sitzmann, die selbst ebenfalls bei den Maltesern arbeitete, inzwischen aber Geschäftsführerin des Diözesanrats im Erzbistum Bamberg ist. 

 

Einmal im Monat – an jedem dritten Freitag – trifft sich die Gruppe, um zu üben und Organisatorisches zu besprechen. „Wir haben im Schnitt auch einmal im Monat einen Einsatz und sind dabei in vielen verschiedenen Bereichen unterwegs“, erklärt die Leiterin. So waren sie schon Malteser-intern bei der Einsatzsanitäter-Prüfung, bei einer Amoklauf-Übung der Polizei an einer Schule in Bayreuth, werden von Feuerwehren gebucht, die an Brandverletzungen oder verunfallten Autofahrern üben wollen, und am Praxistag für Schulsanitäter unterwegs. 

 

„Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist es wünschenswert, für das Thema Erste Hilfe zu sensibilisieren. Denn schon junge Menschen können bei kleinen Verletzungen Hilfe leisten“, so Sitzmann, die explizit darauf hinweist, dass die Team auch immer gerne Unterstützung durch neue Ehrenamtliche, sobald sie 15 Jahre alt sind, bekommt. „Man muss dazu keine medizinischen Vorkenntnisse haben oder Malteser sein. Man sollte nur Spaß am Schminken, Darstellen und Ausprobieren haben. Alles Weitere lernt man dann bei uns.“

 

Und das ist oft „Learning by Doing“. Während der Großübung taucht auf einmal die Frage auf, wie denn eine offene Schädeldecke dargestellt werden sollte. Doch fix ist auch die Antwort parat. Man nehme ein bisschen Modellierwachs als eine Art zweite Hautschicht und schneide dies auf. Mit rot getränkter Watte und viel weiterem Kunstblut wird das Ganze zu einer realistisch aussehenden, bedrohlichen Kopfverletzung. 

 

Im Akkord schminken die Malteser vor der Übung die Mimen. Doch das heißt nicht, dass während der Übung Freizeit herrscht. Auch im Szenario selbst sind Sitzmann und Co. immer unterwegs, träufeln Blut nach, um den Blutverlust sichtbar zu machen – und kümmern sich aber auch um die spielenden „Verletzten“. „Gerade bei solchen Großübungen liegen die Verletzten oft lange auf dem kalten Boden, ehe sie versorgt werden können. Wir kümmern uns auch um ihr Wohlbefinden, ob sie zum Beispiel eine Decke brauchen“, so Sitzmann. Neben der körperlichen Anforderungen ist man als Mime auch durchaus psychischer Belastung ausgesetzt. Daher gibt es ein Codewort. „Wenn das Wort gesagt wird, heißt das, dass es dem Mimen nicht gut geht und sich real um ihn gekümmert werden muss.“

 

Zufrieden mit der Übung

 

Bei der Übung im Bamberger Stadion läuft soweit alles nach Plan. Nachdem der Amokläufer von einem Sondereinsatzkommando der Polizei handlungsunfähig gemacht und die Geiseln befreit wurden, dürfen auch die Rettungskräfte zu den vielen Verletzten, die vor oder auf der Tribüne liegen. Nach und nach leert sich das Stadion. Davor hat die Kriminalpolizei inzwischen einen Bereich abgesperrt und befragt alle Zeugen. Ständig fahren Krankenwagen in Richtung Bamberger Klinikum sowie in die Krankenhäuser nach Scheßlitz und Burgebrach, die ebenfalls an der Übung teilnehmen. 

 

Um zu beurteilen, was gut läuft, und was noch besser laufen muss, sind rund 50 Übungsbeobachter der einzelnen Organisationen mit einem strengen Auge dabei. „Übung macht den Meister – das gilt auch und gerade für Szenarien, von denen wir uns alle wünschen, dass sie am besten nie eintreten mögen“, betont Bambergs Polizeichef Florian Mayer. „Gemeinsame Übungen mit anderen Organisationen ermöglichen uns, das Vorgehen unserer Partner noch besser kennenzulernen und ohnehin bestehende Kooperationen vertiefen und noch optimieren zu können. Ein gegenseitiges Verständnis ist gerade für stressbelastete Situationen von enormem Mehrwert“, so Mayer.

 

Nachdem Übungsleiter Christian Seitz, Leiter des Amtes für Brand- und Katastrophenschutz, gegen 12 Uhr „Übungsende“ über die Funkgeräte verkündet, entspannen sich die Gesichter aller Beteiligten. „Der Aufwand hat sich auf jeden Fall gelohnt. Es steht bereits jetzt fest, dass wir aus der Übung viele Erkenntnisse für eine noch bessere Zusammenarbeit mitnehmen“, betont Seitz. Jetzt gehe es an die Nachbereitung mit einer ausführlichen Analyse, um die Abläufe noch weiter zu verbessern.

 

Auch die anderen beteiligten Organisationen zeigten sich zufrieden mit der Großübung. „Besonders für die ehrenamtlichen Einheiten des Sanitätsdienstes stellen Großübungen wie diese eine seltene und wichtige Möglichkeit dar, ihre zum Glück nur selten benötigten Fähigkeiten im Zusammenspiel mit den anderen Organisationen und Behörden praktisch zu üben“, erklärte beispielsweise Michael Hörmann, Katastrophenschutzbeauftragter beim BRK Kreisverband Bamberg.

 

Professor Dr. med. Peter Strohm, der Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Klinikum Bamberg, betonte: „Während des heutigen Vormittages konnten wir die Abläufe in der interdisziplinären Notaufnahme im Krisenfall realitätsnah testen. Mit den Ergebnissen aus der Übung können wir nun unsere internen Prozesse und die Schnittstellen zu unseren externen Partnern noch weiter optimieren, um auch weiterhin auf außergewöhnliche Lagen bestmöglich vorbereitet zu sein.“

 

Und das Team der Malteser Notfalldarstellung um ihre Leitung Juliana Sitzmann? Auch die zeigte sich zufrieden mit der Arbeit ihrer Kolleginnen und Kollegen. Doch während viele weitere Beteiligte schon bei einer Kartoffelsuppe gemütlich beisammensitzen, ist für das Team noch nicht Dienstschluss. Denn immerhin wollen die Mimen ja auch wieder abgeschminkt werden.