Fulda (KNA) – Die katholische Kirche darf nach Ansicht des Mainzer Bischofs Peter Kohlgraf nicht resignieren - auch wenn immer mehr Menschen in Deutschland ohne Kirche und Religion leben. Bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda sagte Kohlgraf am Dienstag: "Wir befinden uns inmitten tiefgreifender Veränderungen, denen wir uns stellen müssen - und zwar ohne in Resignation oder Kulturpessimismus zu verfallen oder uns aus der Gesellschaft schmollend zurückzuziehen."
Auch der tschechische Philosoph Tomas Halik - am Dienstag Gast der Bischofs-Vollversammlung - sieht die westlichen Gesellschaften in grundlegenden Umbrüchen. "Die Globalisierung ist in der Krise, es fehlt trotz digitaler Vernetzung eine gemeinsame Wertegrundlage", sagte Halik. Populismus und Nationalismus wirkten wie "Infektionskrankheiten", die dem Gemeinsinn schadeten. Eine wichtige Zukunftsaufgabe der Kirchen müsse es daher sein, zu gesellschaftlichen Versöhnungsprozessen beizutragen. Spannend sei auch, dass der Papst als globale Integrationsfigur wahrgenommen werde.
Reformen allein reichten nicht aus und führten nicht automatisch zu vollen Kirchenbänken, sagte Kohlgraf. "Es ist verkürzt zu meinen, man müsse nur an einzelnen institutionellen Stellschrauben drehen oder unsere Angebote für einzelne Zielgruppen verbessern, um Menschen in der Kirche zu halten oder gar neue zu erreichen."
Längst fragt nicht mehr jeder nach Gott
Der Theologe Jan Loffeld von der Universität Tilburg in den Niederlanden stimmte dem zu: Kirchenreformen seien zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Die Kirche müsse sich darüber hinaus von einer bislang kaum hinterfragten Annahme verabschieden: "Es ist die Annahme, dass in jedem Menschen die Frage nach Gott schlummert und es lediglich guter Methoden bedarf, diese zu wecken." Davon könne die Kirche heute nicht mehr ausgehen. Für viele sei der christliche Glaube zu einer Art "open-source" geworden, an der man sich nach Belieben bedienen könne, ohne aber selbst Verpflichtungen einzugehen.
Der Münchner Fundamentaltheologe Thomas Schärtl-Trendel betonte, die christlichen Kirchen müssten sich inzwischen auf einem globalen Marktwettbewerb behaupten. Für viele Menschen seien Religion und Spiritualität zu einer Ware geworden, die zur eigenen Selbstvervollkommnung diene. Schärtl-Trendel riet aber dazu, nicht nur auf eigene Anstrengungen zu setzen: "Habt mehr Gottvertrauen." Man müsse darauf setzen, dass auch Gott selbst einen Beitrag dafür leiste, dass Menschen ihn erfahren könnten.
Die rund 60 katholischen Orts- und Weihbischöfe beraten in Fulda über Schlussfolgerungen aus einer Studie zu drastisch sinkender Religiosität. Die "Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung" kam 2023 zu dem Befund, dass sich nur noch 13 Prozent der Bevölkerung kirchlich gebunden fühlen. Nur 9 Prozent der Befragten erklärten, sie hätten noch Vertrauen in die katholische Kirche.