
Bonn (KNA) – Digital ist spitze, sagt der Bürgerrechtsverein Digitalcourage. Aber nur, wenn die Menschen die Wahl haben und nicht dazu gezwungen werden. Die Debatte um ein Grundrecht auf ein analoges Leben schwelt.
Wenn Gerhard Anton Geld braucht, wird es schwierig. Die Bankfiliale im Heimatort des 80-Jährigen im Sauerland ist schon lange geschlossen. Auch der Geldautomat ist weg - die örtliche Bank fürchtet Automatensprenger. Bleibt also nur die – wegen des Alters – problematische Autofahrt in den Nachbarort. Oder das Online-Banking.
Ein Leben ohne Internet, ohne E-Mail-Adresse, Computer oder Smartphone wird immer schwieriger. Ob Geldüberweisungen, Terminvereinbarungen bei Ärzten oder Ticketbuchungen – viele Dienstleistungen des Staates, der öffentlichen Infrastruktur und von Privatunternehmen werden (fast) nur noch online angeboten.
Deutschland muss digitaler werden, ist die einhellige Meinung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Die Deutsche Bahn drängt ihre Kundinnen und Kunden beim Kauf von Bahncard oder Deutschlandticket in die App. Viele Banken nehmen Papierüberweisungen nur noch gegen eine Extragebühr an. Die elektronische Patientenakte, die für alle gesetzlich Versicherten Standard wird, lässt sich im vollen Umfang nur per App verwalten. Anträge auf Sozialleistungen von Städten und Gemeinden – beispielsweise Coronahilfen – sind teilweise ausschließlich digital zu beantragen.
Doch was ist mit Menschen, die über diese Geräte nicht verfügen oder die mit der sich ständig verändernden Technik nicht umgehen können? Sicherheits-TANs oder Zwei-Faktor-Authentifiezierungen bringen auch manche Computer-affinen Bürger in Bedrängnis. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren 2024 gut vier Prozent der Menschen im Alter zwischen 16 und 74 Jahren Offliner – sie haben noch nie das Internet genutzt. Das entspricht knapp 2,8 Millionen Menschen.
Digitalisierungsexperten und Politik diskutieren deshalb über ein Grundrecht auf ein analoges Leben. Etwa die Senioren-Union, eine Vorfeldorganisation der CDU, die sich derzeit auf ihrer Bundesdelegiertenversammlung in Magdeburg mit dem Thema befasst. Behördengänge, Bankgeschäfte und Teilhabe im Alltag müssten auch ohne Internetzugang weiterhin für alle möglich sein, sagte der kommissarische Bundesvorsitzende Helge Benda dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Das ist Teil von Selbstbestimmung und Würde im Alter.“
Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen warnt, ältere Menschen fühlten sich durch die Digitalisierung zunehmend ausgegrenzt. Jahrzehntelang hätten sie ihr Leben gut gemeistert. Nun fühlten Senioren „ihre Lebensleistung abgewertet, wenn jetzt überall da, wo es nicht mehr geht ohne Internet, Hürden aufgebaut werden, die es früher nicht gab“, sagt die Vorsitzende Regina Görner.
Auch die Aktion „digitalcourage“ engagiert sich für ein Leben ohne Digitalzwang. Zum 75. Jubiläum des Grundgesetzes am 23. Mai 2024 forderte sie eine Grundgesetz-Änderung. Der Artikel 3, bei dem es um ein Verbot von Benachteiligung und Diskriminierung geht, sollte ergänzt werden um das Verbot, Menschen bei der Grundversorgung zu benachteiligen, wenn sie ein bestimmtes Gerät oder eine digitale Plattform nicht nutzten.
Beeinträchtigungen
In einem Rechtsgutachten argumentieren auch die Digitalexperten Thilo Weichert und Karin Schuler, dass Menschen, die auf bestimmte Dienstleistungen angewiesen sind, ein Recht darauf haben, diese auch offline nutzen zu können. „Digital only“, also das Fehlen einer analogen Alternative, könne zu Diskriminierung und Grundrechtsbeeinträchtigungen führen. Etwa, wenn Menschen ausgeschlossen würden, weil ihnen die Nutzung praktisch nicht möglich oder zumutbar sei, etwa wegen der Kosten, des Alters, einer Behinderung oder wegen der begründeten Furcht eines Datenmissbrauchs.
Erreichbarer Zugang
Das Land Schleswig-Holstein hält sich daran. Seit 2014 schreibt die Verfassung des Bundeslandes fest, dass es einen persönlichen, schriftlichen und elektronischen Zugang zu den Behörden und Gerichten geben muss. Aber es gibt auch genau gegenläufige Tendenzen: Mit Blick auf das Onlinezugangsgesetz wird im Bundestag darüber diskutiert, ob der Staat gesetzlich verpflichtet werden sollte, Verwaltungsdienstleistungen – etwa für Unternehmen – ausschließlich digital anbieten zu müssen. Juristen argumentieren zudem, dass das Grundgesetz bislang kein Abwehrrecht gegen eine digitale Verwaltung vorsehe. Der Staat könne durchaus elektronische Kommunikation einfordern – allenfalls könne es eine Pflicht geben, bei bestimmten Nutzerkreisen Ausnahmen und Härtefälle zuzulassen und Hilfen anzubieten.