Bonn (KNA) - Die Kardinäle im Konklave hätten nicht besser wählen können, als sie am 8. Mai Kardinal Robert Francis Prevost zum Papst kürten. Davon ist der Augsburger Kirchenhistoriker Jörg Ernesti fest überzeugt. "Blickt man darauf, welche Fähigkeiten und Erfahrungen er mitbringt, muss man sagen, dass er eigentlich die ideale Wahl war", urteilt Ernesti über Papst Leo XIV. und fügt lachend hinzu: "Wie man in Bayern sagen würde, eine eierlegende Wollmilchsau."
Was macht diesen Papst so besonders? "Er ist Nordamerikaner, und das hat sicher große Vorteile, auch angesichts der Polarisierung innerhalb des US-Katholizismus. Er hat den südamerikanischen Hintergrund als peruanischer Staatsbürger und als Bischof in Peru", erklärt Papsthistoriker Ernesti. "Als langjähriger Missionar hat er das zentrale Anliegen seit dem Pontifikat Pauls VI. auf dem Schirm und steht für die Neuevangelisierung. Er hat Erfahrung in einem internationalen Ordensverband, er ist Kirchenrechtler und kennt die Kurie von innen."
Was an dem Papst auffalle sei auch, wie mühelos er zwischen den verschiedenen Sprachen wie Englisch, Spanisch und Italienisch wechseln könne, betont Ernesti. Das sei schon sehr beeindruckend. Er bewertet auch die öffentlichen Auftritte von Leo XIV. als sehr reflektiert und durchdacht, ohne dass das Spontane, Zufällige und Menschliche zu kurz käme. Ebenso wie sein Vorgänger Franziskus könne Leo mit ganz unterschiedlichen Menschen - von Staatsoberhäuptern bis Sportlern - direkt eine Beziehung aufbauen.
Projektionsfläche für viele
Die große Beliebtheit des Papstes erklärt sich Jörg Ernesti auch dadurch, dass dieser bis jetzt noch niemanden vor den Kopf gestoßen habe. Papst Leo XIV. sei noch für viele eine Projektionsfläche - sowohl für den Kardinal von Boston wie für das Präsidium des synodalen Weges in Deutschland. Auch für Ernesti sei der Papst eine Art Blackbox. "Man weiß jetzt noch nicht so recht einzuschätzen, was drin steckt und was herauskommt."
Für den Historiker, der es gewohnt ist mit Quellen zu arbeiten und viel zu einem Thema zu lesen, stellt Papst Leo daher eine gewisse Herausforderung dar. Im Gegensatz zu anderen Päpsten der letzten 150 Jahre habe Leo XIV. vor seiner Wahl quasi nichts veröffentlicht - weder Predigtbände oder andere theologische Publikationen. Ausnahme sei dessen kirchenrechtlichen Doktorarbeit, die für die inhaltlichen Fragen seines Pontifikates aber nicht viel hergebe, meint Ernesti.
Große Erwartungen
Was ist von Papst Leo XIV. zu erwarten? "Uns in Deutschland interessiert natürlich vor allen Dingen, ob er ein progressiver, fortschrittlicher, liberaler Papst ist oder doch eher ein Mann, der in Kontinuität zu den Vorgängern steht", sagt der Kirchenhistoriker. "Nicht nur zu Franziskus, sondern sicher auch zu den Vorgängern wie Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI."
Eine Frage, die sich viele stellen: Wird das Reformtempo von Franziskus fortgeführt? "Das glaube ich persönlich nicht und meine aus den Wortmeldungen auch vieler Teilnehmer am Konklave herausgehört zu haben, dass der Wunsch bestehe, das Tempo zu senken", sagt der Forscher.
Die Wahl von Papst Leo XIV. sei von vielen Beobachtern so gedeutet worden, dass er ein Mann des Ausgleichs sei und auch bewusst den Ausgleich suche, meint Ernesti. Er geht davon aus, dass Leo XIV. nicht die Reformen von Franziskus zurückdrehen werde. Aber er werde sich um einen Ausgleich bemühen zwischen den eher auf Tempo Drängenden und den eher Zurückbleibenden Akteuren.
Warten auf die erste Enzyklika
Mehr werde man wissen, wenn Papst Leo XIV. seine erste Enzyklika veröffentlicht, meint Ernesti. Er weist darauf hin, dass seit Papst Leo XIII. (1878-1903) eigentlich jeder Papst in seiner ersten Enzyklika eine Art Regierungsprogramm entworfen habe. "Und da findet man dann auch, wenn man das aufmerksam liest, Anknüpfungen an bestimmte Vorgänger", stellt der Historiker fest. Das sei insofern aufschlussreich, weil sich zeige, wo der Kurs hingehe.
Leo soll bereits an einer solchen Schrift arbeiten. Das entnahm der Historiker den Berichten aus Castel Gandolfo, wo der Papst weniger Urlaub als Arbeitsferien verbracht hat. In der päpstlichen Sommerresidenz wird er auch die Tage um Mariä Himmelfahrt - in Italien Ferragosto genannt - verbringen. Dort wird er dann seinen 100. Tag im Amt verleben.