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"Die Zeichen stehen auf Rückbau"

Erzbischof Herwig Gössl sprach im Rahmen der ökumenischen Reihe „Zugespitzt“ in der Kirche St. Josef in Baiersdorf über den christlichen Glauben in der Gegenwart. Foto: Bernd Buchner
Erzbischof Herwig Gössl sprach im Rahmen der ökumenischen Reihe „Zugespitzt“ in der Kirche St. Josef in Baiersdorf über den christlichen Glauben in der Gegenwart. Foto: Bernd Buchner

Baiersdorf (buc) – Festlicher Anlass in ernsten Zeiten: Zur 100-Jahrfeier der ersten Kirche St. Josef in Baiersdorf kommt Erzbischof Herwig Gössl in die mittelfränkische Stadt, um über ein Thema zu sprechen, das zurzeit viele umtreibt: “Was kann der christliche Glaube dem Menschen der heutigen Zeit geben?“ 1925 war in dem Ort nahe Erlangen die erste katholische Kirche nach der Reformation geweiht worden. Das damalige Gotteshaus wird heute als Turmsaal genutzt – in den 1960er Jahren entstand gegenüber die heutige Kirche St. Josef. Just dort referiert Erzbischof Gössl im Rahmen der ökumenischen Reihe „Zugespitzt“.

 

Er beginnt seine Ausführungen mit einer recht schonungslosen Analyse. Der christliche Glaube stoße in der gegenwärtigen Gesellschaft oft auf Skepsis und Ablehnung. Viele Menschen seien geprägt von einer „Nicht-Erfahrung“ mit dem Christentum, erläutert Gössl. Nicht zu glauben, sei das „neue Normal in diesem Land“. Was aber sei das Angebot des christlichen Glaubens, „wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt“? So die Frage des Erzbischofs in Anlehnung an ein Buch des in Utrecht lehrenden deutschen Theologen Jan Loffeld.

 

Sinkende Katholikenzahl

 

Was die Kirche betrifft, hat der Bamberger Oberhirte einen nüchternen Blick auf die Wirklichkeit: „Die Zeichen stehen auf Rückbau.“ Er spricht von der Aufgabe von Gebäuden, von liebgewonnenen Strukturen und Einrichtungen. Jüngst hat die Erzdiözese eine neue Gebäudestrategie veröffentlicht, mit der wohl der Abschied von vielen Immobilien verbunden ist. Hintergrund ist die sinkende Zahl der Katholiken und damit der Kirchensteuerzahler. Das Erzbistum zählte im vergangenen Jahr noch 574 509 Kirchenmitglieder, rund 18 000 weniger als 2023.

 

Dagegen setzt Gössl den Begriff der Hoffnung. Der Glaube schenke eine „Hoffnungsperspektive über die Grenzen des irdischen Lebens hinaus“, führt er aus. Dies biete auch eine Grundlage für den Kampf für Frieden und Gerechtigkeit. „Hoffnung stiftet oft gegen alle Berechnungen einen Sinngrund meines Handelns“, sagt der Erzbischof. Er betont den Wert des Ehrenamtes und verweist darauf, dass Nächstenliebe und Glaube nicht voneinander zu trennen seien.

 

Die notwendige kirchliche Verschlankung setzt Gössl in Beziehung zur persönlichen Bereitschaft zum Verzicht, die zurzeit ebenso in aller Munde ist: Konsumkritische Stimmen werden lauter, die Ideologie des „immer mehr“ und des unbeschränkten Wachstums stößt zunehmend Widerstand, lässt Gegenmodelle wachsen. Der Erzbischof („Ohne Verzicht ist weder ökologisch noch ökonomisch eine gute Zukunft der Menschheit möglich“) verweist ausdrücklich auf die junge Generation, die sich einer permanenten Anspruchshaltung entgegenstelle. Er fügt aus christlicher Perspektive hinzu: „Jesus hat immer auch ein kritisches Potenzial in sich.“ Auch dieses müsse die Kirche stets verkünden. Der Mann aus Nazareth verwirklichte als Wanderprediger, der seinen Jüngern verbot, für den nächsten Tag vorzusorgen, einen radikalen Lebensentwurf.

 

Einheit, Hoffnung, Heil

 

„Auch wenn wir kleiner werden und der öffentliche Einfluss schwindet, bleibt die Kirche eine Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils“, sagt der Bamberger Oberhirte unter Verweis auf die Konstitution „Lumen Gentium“ des Zweiten Vatikanischen Konzils. In Anwesenheit der evangelischen Pfarrerin Christine Jahn und auch Baiersdorfs Bürgermeisterin Eva Ehrhardt-Odörfer warnt Gössl die Kirchen davor, sich hinter einer Minderheitenposition zu verstecken: Gerade dann könne man sich für Hoffnung und Versöhnung einsetzen, führt er aus.

 

Dem instruktiven Vortrag folgten kleine Gesprächsrunden im Publikum, sogenannte Murmelgruppen, ehe eine Diskussionsrunde eröffnet wurde. Ein Gesprächsteilnehmer beklagte angesichts der gegenwärtigen Krisen und Unsicherheiten die grassierende „deutsche Angst“, die als lähmend wahrgenommen wird. „Unser Glaube ist ein gutes Heilmittel gegen Angst“, hielt Erzbischof Gössl dagegen und räumte ein: „Natürlich habe ich auch Angst. Aber sie frisst mich nicht auf, weil ich auch Hoffnung habe.“