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Seelenbilder aus dem Unterbewusstsein

Die Zeichnung vorne gehört zur Reihe „Selbstzerhackung“ aus den Skizzenbüchern von Josef B., Kunsthochschulabsolvent. Foto: Bernd Buchner
Die Zeichnung vorne gehört zur Reihe „Selbstzerhackung“ aus den Skizzenbüchern von Josef B., Kunsthochschulabsolvent. Foto: Bernd Buchner

Bamberg (buch) – Der Festsaal im Bistumshaus St. Otto in Bamberg ist selten so voll wie an diesem Abend. Noch eine Viertelstunde nach Beginn der Veranstaltung werden Stühle hereingetragen, so groß ist das Interesse. Die Menschen sind gekommen, um an der Eröffnung einer Ausstellung teilzunehmen, die es so noch nirgends gegeben hat, die einzigartig ist: „Beschädigt. Bilder nach dem spirituellen und sexuellen Missbrauch“.

 

Die Kunstwerke stammen von zwei Betroffenen, die anonym bleiben wollen: Sie nennen sich Hans G. und Josef B., beide erlitten im Kindesalter sexuelle Gewalt durch katholische Priester. „Aus dem Sumpf von Schweigen, Schamgefühl und schlechtem Gewissen fand ich keinen Ausweg“, schreibt der eine in einem Begleittext zur Ausstellung. „Nur in Bildern“, so der andere über sich selbst, bahnte sich mitunter sein Empfinden den Weg ans Licht: es wurde anschaulich, was in seinem Kopf war“.

 

„Zeichen großen Vertrauens“

 

Die Bilder entstanden über einen großen Zeitraum hinweg, Jahrzehnte vergingen nach den Verbrechen. Einer der beiden Männer ist inzwischen Vater und Großvater. Beim Zeichnen und Malen indes, so schildert es der Bamberger Theologe und Philosoph Matthias Scherbaum, der sich lange mit den Künstlern ausgetauscht hat, war diesen der Missbrauch noch gar nicht richtig klar geworden. „Seelenbilder aus dem Unterbewusstsein“ nennt er die Werke deshalb.

 

Lässt sich das scheinbar Unsagbare am Ende dann doch aussprechen, beschreiben, darstellen? Das ist aus Sicht von Fachleuten eine entscheidende Frage bei der Aufarbeitung der Verbrechen am Seelenleben von Menschen. Hans G. und Josef B. wandten sich schließlich an die Katholische Erwachsenenbildung (KEB) in Bamberg, ein „Zeichen großen Vertrauens“, sagt der designierte Vorsitzende Bernd Franze bei der Vernissage. Und für die KEB eine „selbstverständliche Pflicht“, dem Wunsch der Künstler zu entsprechen und die Werke öffentlich zu zeigen.

 

Wie ein Schwert durchzieht eine lange Tischreihe den Festsaal, auf dieser ist eine ganze Reihe von weiß gerahmten Zeichnungen ausgestellt, teils wie gestapelt, gedrängt wirkend, in der Mitte ein 14-teiliger Kreuzweg mit einem goldenen Faden als wiederkehrendem Motiv. Vorne an der Kreuzstange des „Schwertes“ sind größere Zeichnungen platziert. Alle spiegeln eindringlich die dunkle Welt, die die Gewalterfahrung an den Körpern und in den Köpfen der Betroffenen hinterlassen hat.

 

So eindringlich, dass die Ausstellung, zumindest den Teil im Festsaal selbst betreffend, mit einer Art Warnhinweis versehen werden muss: „Gezeigt werden Bilder von Betroffenen von spirituellem und sexuellem Missbrauch“, heißt es dort. „Es handelt sich zum Teil um explizite Darstellungen, die auf sensible Betrachter oder Kinder und Jugendliche verstörend wirken können.“ Betroffenen von sexueller Gewalt werde empfohlen, vor dem Besuch der Ausstellung Unterstützung in Erwägung zu ziehen.

 

Bei der Ausstellungseröffnung spricht die renommierte Regensburger Pastoraltheologin Ute Leimgruber von „erschütternden Zeugnissen konkreter Vergehen an konkreten Menschen“. Es sei für die Betroffenen unglaublich schwer, aus Schweigen und Scham herauszutreten. Gerade deshalb hält sie die Bamberger Schau für einen wichtigen Einschnitt: „Die Betroffenen werden wieder zu Subjekten ihres Lebens“, so die Missbrauchsexpertin. „Sie sind es, die für sich und von sich sprechen.“

 

Eindringlich ruft Leimgruber zur Solidarität mit den Betroffenen auf, und zwar ohne „Betroffenheitsformeln“. „Wir müssen uns ihren Erlebnissen stellen, dürfen nicht wegschauen. Wir müssen wissen, was passiert ist, um zu verhindern, was nicht mehr passieren darf.“

Bei einer kurzen Publikumsrunde steht Göran Hajak auf, Chef der Bamberger Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Er berichtet von seinem Klinikalltag, zurzeit sind rund 25 Missbrauchsopfer bei ihm in stationärer Behandlung. Unter Hinweis auf die Ausstellung und ausdrücklich „aus nichtkirchlicher Sicht“ fügt Hajak hinzu: Die Kirche leiste hier etwas, was die bürgerliche Gesellschaft nicht leiste. „Sie übernimmt zurzeit die Rolle der Aufklärerin.“ 

 

Zur Ausstellung

 

„Beschädigt“. Bilder nach dem spirituellen und sexuellen Missbrauch. Bistumshaus St. Otto, Heinrichsdamm 32. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 8 bis 17 Uhr (bis 10. April, nicht vom 8. bis 12. März). Führungen am 24. und 26. März, 15 Uhr. Anmeldung per E-Mail an

carina.lang@erzbistum-bamberg.de.