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Man muss die Dinge beim Namen nennen

Oberasbach (buc) – Seit genau einem Jahr gibt es auch im Erzbistum Bamberg einen Betroffenenbeirat – Menschen, die Missbrauch und sexualisierte Gewalt in kirchlichen Einrichtungen erlitten haben, durch Priester und andere Mitarbeiter. Acht Frauen und Männer gehören dem Kreis inzwischen an. Nun stellten sich einige Mitglieder zum ersten Mal einer öffentlichen Diskussion – bei der Gesprächsreihe „Missbrauch aufarbeiten – Kirche erneuern“ in Oberasbach bei Fürth.
Mit dabei ist auch der Psychologe Bernd Fricke, der die Betroffenen begleitet und unterstützt. Er sagt, die Pfarrei St. Johannes in Oberasbach sei bisher die einzige Gemeinde in der Erzdiözese, „die sich dieses Themas auf diese Weise annimmt“. Fricke ergänzt die Schilderungen der Betroffenen durch kurze fachliche Einschätzungen. Er ordnet ein, erläutert psychologische Sachverhalte, ergänzt sachliche Hintergründe der Fälle. Das Grauen, das die Besucher erfasst, als sie hören, was den Betroffenen widerfahren ist, kann der Experte naturgemäß nicht mildern.
Der Direktor im Schlafsaal
Ein Betroffener nimmt das Mikrofon und schildert, wie er als Elfjähriger ins Bamberger Aufsessianum kam, das damalige Knabeninternat. Der Direktor, ein Priester, schlich sich nachts in den Schlafsaal, machte sich an den Genitalien zweier Jungen zu schaffen. Die beiden verständigten am nächsten Tag einen Erzieher, der ihnen zwar glaubte, doch man setzte sie unter Druck, drohte mit Gericht und „Bild“-Zeitung. Der Direktor aber verschwand später von einem Tag auf den anderen, wurde nach Afrika versetzt. Er hatte sich an Dutzenden Kindern vergriffen.
Ein weiterer Betroffener nimmt das Mikrofon und berichtet, mit 16 Jahren ebenfalls ins Aufseesianum gekommen zu sein, bis zum Abitur. Er und andere werden fortgesetzt missbraucht, auf unterschiedliche Weise, von einem ebenso eloquenten wie menschlich scheinbar zugewandten Geistlichen. Eine zweite Tortur beginnt, als der Betroffene als Erwachsener, er ist inzwischen selbst Priester geworden, seinen Fall anzeigt. Er verliert darüber seine Gesundheit, kann seinen Beruf nicht mehr ausüben. Doch der jetzige Zustand, sagt der Mann, „ist ehrlicher als viele Jahre des Mitschwimmens im System“.
Ein dritter Betroffener nimmt das Mikrofon und erzählt vom früheren Präses der Marianischen Congregation, dem er als Elfjähriger erstmals begegnete. Er findet in ihm zunächst den sanften Vater, den er zu Hause nie hatte. Doch die Freundlichkeit des Priesters hatte nur den Zweck, sexuelle Befriedigung zu finden. Alles war nur gespielt. „Das war die größte Enttäuschung“, sagt der Mann unter Tränen. Doch er schildert auch, wie er viel später zurück ins Leben fand, auch seine persönliche Gewaltspirale stoppen konnte.
Eine Frau tritt vor und nimmt sich das Mikrofon. Sie berichtet, wie sie von einem Kirchenmusiker über Jahre hinweg gemobbt, sexuell belästigt und auch vergewaltigt wurde. Dass sie nicht das einzige Opfer war, erfuhr die Frau erst viel später, es gab mehr als 20, darunter zwei Ordensschwestern und auch ein minderjähriges Mädchen. Der Mann wurde schließlich mit einem Aufhebungsvertrag aus dem kirchlichen Dienst befördert, nicht etwa mit einer fristlosen Kündigung.
Kritisch hinterfragt wird in Oberasbach die Rolle von Persönlichkeiten früherer Bistumsleitungen. Von Kommunikationsmängeln ist die Rede, von nicht beantworteten Briefen und Anfragen, auch von einem Mangel an Verständnis und Empathie – man habe Berichte von Betroffenen als „lustig und lächerlich“ gefunden, hieß es. Auch die bestehenden Strukturen im Erzbistum, teils Doppelstrukturen, werden übereinstimmend als hinderlich für eine wirksame Aufarbeitung und Prävention betrachtet. Der künftige Bamberger Erzbischof, so scheint es, hat auf diesem Feld einiges zu tun.
Was wünschen sich die Betroffenen? Das will ein Besucher zum Schluss wissen. „In manchen Diözesen haben die Betroffenen die Handynummer des Bischofs“, sagt einer von ihnen. Ein Wunsch ist: gehört zu werden. „Im Moment müssen wir uns Gehör verschaffen“, heißt es. Ein weiterer Wunsch: nicht mehr als „Nestbeschmutzer“ oder „Racheengel“ verunglimpft zu werden. Ein weiterer Wunsch: rasche und unbürokratische Hilfe, etwa wenn eine von Missbrauch betroffene Frau in eine psychiatrische Klinik muss und eine Haushaltshilfe benötigt wird, um die Familie zu versorgen.
Der Abend, so beklemmend und unfassbar bedrückend die Schilderungen sind, hat auch eine erhellende und ermutigende Seite, eine geistliche Dimension. Die Betroffenen senden Hoffnungszeichen. Sie zeigen sich bewegt, dass sich jemand für ihre Geschichten interessiert, dass sie Unterstützung erhalten. „Meine Hoffnung sind Sie, die normalen katholischen Menschen“, sagt einer. „Man muss die Dinge beim Namen nennen“, unterstreicht Franz X. Forman, der den Abend als Vertreter der Pfarrgemeinde leitet: „Dann verlieren sie ihren Schrecken.“