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Gegen den Krieg braucht es langen Atem

Pfarrerin Claudia Voigt-Grabenstein (am Altar) mit Vertretern von Russlanddeutschen und Ukrainern beim regelmäßigen Friedensgebet in der Nürnberger Lorenzkirche. Es wird in drei Sprachen abgehalten.    Foto: Bernd Buchner
Pfarrerin Claudia Voigt-Grabenstein (am Altar) mit Vertretern von Russlanddeutschen und Ukrainern beim regelmäßigen Friedensgebet in der Nürnberger Lorenzkirche. Es wird in drei Sprachen abgehalten. Foto: Bernd Buchner

Nürnberg (buc) – Vor genau einem Jahr begann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Zehntausende Menschen wurden getötet, Millionen in die Flucht getrieben. In Nürnberg lebten bereits vor dem Krieg knapp 8000 Ukrainer, ebenso viele sind in den vergangenen Monaten hinzugekommen. Fast jeder zehnte Einwohner der Frankenmetropole stammt aus der Ex-Sowjetunion, unter ihnen viele Russlanddeutsche. Über zwei Drittel der Menschen haben die deutsche Staatsbürgerschaft.
Wie gestaltet sich das Zusammenleben von Menschen mit Wurzeln in Russland und jenen, die vor Krieg und Gewalt aus ihrer Heimat fliehen mussten? „Wir brauchen einen langen Atem, um den Erschütterungen des Ukrainekriegs etwas entgegenzusetzen“, hieß es Ende Januar in der Einladung zu einer Veranstaltung im Caritas-Pirckheimer-Haus (CPH) – ein erstes Treffen, um die schwierige Verständigungsarbeit anzustoßen. Zu den Teilnehmern gehörten Sabine Arnold, Aussiedlerseelsorgerin bei der evangelischen SinN-Stiftung („Seelsorge in Nürnberg“), Luise und Raimund Kirch sowie CPH-Direktor Siegfried Grillmeyer.
Das Motto des Treffens lautete „Du bereitest mir einen Tisch in Angesicht meiner Feinde“ aus dem Psalm 23. Der Krieg habe massive Auswirkungen auf die hier lebenden Menschen aus der Ex-Sowjetunion, berichtet Sabine Arnold. „Das ist die größte Zuwanderergruppe in der Stadt, weit vor der türkischen Gruppe.“ Das Zusammenleben sei seit Februar 2022 viel komplizierter geworden, vor allem die Kommunikation. Die Seelsorgerin sieht den sozialen Frieden in Nürnberg gefährdet: „Da zerreißt etwas.“
Die allermeisten Russlanddeutschen seien gegen diesen Krieg, gegen Putin, sagt Arnold, die als Osteuropa-Historikerin lange in Russland gelebt hat. Doch Zwist ist angesichts der Situation unvermeidlich. In Nürnberg gibt es viele Organisationen für die Aussiedler, vom „Haus der Heimat“ bis zur „Allianz für ein freiheitlich-demokratisches Russland“. Nach Kriegsbeginn lud Oberbürgermeister Marcus König (CSU) Vertreter von ihnen ein, es gab auf offener Bühne Streit „mit Tränen und lauten gegenseitigen Vorwürfen“, so Arnold, weil die einen der Ansicht waren, dass sich die andere nicht deutlich genug von Putin und seinem Krieg distanzieren wollten.
Sie berichtet auch, wie zerrissen viele der Menschen sind. Von einer über 80-jährigen Frau, deren Enkel in Moskau ist und die Einberufung zur Armee fürchten muss, während sie sich in Nürnberg Tag und Nacht um geflüchtete Frauen und Kinder aus der Ukraine kümmert.„Die einen haben den einen Schmerz, die anderen den anderen“, so Sabine Arnold. Jeder trägt die Folgen dieses furchtbaren Angriffskriegs ganz persönlich. Einige haben ihren russischen Pass abgegeben, weil sie für Putins Treiben mitverantwortlich gemacht werden – für andere ist das Dokument ein Stück ihrer Identität.
Das Sprechen neu lernen
Bei dem Treffen im CPH stand ein zweites Motiv im Vordergrund: Die Kirchen spüren ihre Verantwortung für Menschen und Gesellschaft, sie wollen sich für das Miteinander einsetzen. „Wir möchten dafür gerne weitere Institutionen in Nürnberg gewinnen“, betont die Aussiedlerseelsorgerin. Ziel sei es, Gesprächsformate anzubieten, in denen „Menschen, die das Sprechen verlernt haben, wieder miteinander in Kontakt kommen“.
Versöhnungsarbeit, verbunden mit Seelsorgeangeboten – dazu trägt auch das regelmäßige Friedensgebet in der Nürnberger Lorenzkirche bei. Jeden Freitag um 17 Uhr wird dort auf Deutsch, Russisch und Ukrainisch gebetet, ganz bewusst in drei Sprachen. Ein Moment des Innehaltens im Kerzenschein. Unterdessen geht die Hilfe für die Menschen, die in Nürnberg Zuflucht gefunden haben, ebenso weiter wie die Unterstützung derjenigen, die im Kriegsgebiet ausharren.