Bonn (KNA) – Der Welttag der Barmherzigkeit erinnert an eine Tugend, die leise wirkt, aber wichtig ist: Mitgefühl. Die Werke der Barmherzigkeit zeigen, wie aus Glauben, Mitmenschlichkeit und Tatkraft gelebte Nächstenliebe entsteht.
In einer Zeit, die von Krisen, Ungleichheit, sozialen Spannungen und ökologischen Herausforderungen geprägt ist, lädt der Aktionstag der Barmherzigkeit dazu ein, neu zu entdecken, wie tief das Mitgefühl in allen Religionen, Philosophien und Kulturen verwurzelt ist – mitten im Spätherbst. Barmherzigkeit oder Mitgefühl – verstanden als tätige Anteilnahme am Leid anderer – ist eine leise Tugend, die aktuell eher wenig positive Aufmerksamkeit erhält. Dabei ist sie für ein gelungenes menschliches Zusammenleben dringend notwendig und macht das Leben für alle besser.
Der World Compassion Day (Welttag des Mitgefühls oder der Barmherzigkeit) wurde 2012 von Pritish Nandy, einem indischen Dichter, Journalisten und Aktivisten, ins Leben gerufen. Er wird seitdem jedes Jahr am 28. November begangen. Die Idee dieses Aktionstages basiert auf dem Konzept der Ahimsa, eines alten indischen Prinzips der Gewaltlosigkeit gegenüber allen Lebewesen. Die erste Veranstaltung fand im indischen Mumbai statt und wurde vom Dalai Lama sowie Aktivisten aus Indien und dem Ausland besucht. Barmherzig zu sein ist letztendlich indes eine Forderung, die alle Religionen an ihre Glaubenden stellen.
Vorbild Christus
Innerhalb der christlichen Tradition nimmt Barmherzigkeit einen zentralen Platz ein. Sie zeigt sich nicht allein in Worten oder Gefühlen, sondern in konkretem Tun. Schon in den sogenannten Werken der Barmherzigkeit, die Jesus Christus selbst laut biblischer Überlieferung auflistet, wird dies greifbar. Sie bilden eine Art moralische Landkarte, auf der Glaube und Menschlichkeit zusammentreffen.
Sieben leibliche Tätigkeiten – Hungrige speisen, Durstigen helfen, Fremde aufnehmen, Nackte bekleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen und Tote bestatten – spiegeln eine Praxis wider, die seit Anbeginn des Christentums mitten im Alltag verwurzelt ist. Ebenso entscheidend sind die sieben geistlichen Werke der Barmherzigkeit: Zweifelnde und Unwissende lehren, Sünder zurechtweisen, Trauernde trösten, Nachsicht mit den Fehlern anderer haben, jenen verzeihen, die einen beleidigen, Lästige geduldig ertragen sowie für Lebende und Verstorbene beten.
Sowohl die geistlichen wie die leiblichen Werke der Barmherzigkeit verbinden Gerechtigkeit mit Zuwendung, Verantwortung mit Empathie.
Die katholische Kirche feiert den Gedanken der Barmherzigkeit an verschiedenen Tagen. So hat Papst Franziskus (2013-2025) den Welttag der Armen im kirchlichen Jahreskreis verankert, der in diesem Jahr am 16. November begangen wurde. Ebenso hat er ein außerordentliches Heiliges Jahr der Barmherzigkeit für die Kirche gefeiert, dass Anfang Dezember 2015 eröffnet wurde. Überhaupt stand sein Pontifikat unter dem Leitbegriff der Barmherzigkeit. Sein Vor-Vorgänger Johannes Paul II. führte den Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit ein, der am ersten Sonntag nach Ostern begangen wird.
Die Aufzählung der verschiedenen Werke der Barmherzigkeit mag zunächst altmodisch klingen. Doch sie beschreibt eine Ethik, die sich in modernen Begriffen wie Empathie, Solidarität oder Care-Arbeit wiederfindet. In Hospizen, bei Tafel-Initiativen, in der Pflege oder im Engagement für Geflüchtete leben diese Werke in neuer Gestalt fort. Sie tragen dazu bei, dass eine Gesellschaft menschlich bleibt und auch jene einbezieht, die eher am Rand stehen und meist eher wenig Aufmerksamkeit bekommen.
Barmherzigkeit bedeutet, dass man das Leid von anderen sieht, es annimmt und deswegen handelt. In diesem Sinn ist sie eine Haltung des Herzens, aber auch eine soziale Praxis. Doch Barmherzigkeit ist oft nicht einfach zu leben. Sie fordert dazu heraus, den Blick nicht abzuwenden – von der Obdachlosen vor dem Supermarkt, vom Geflüchtetenboot im Mittelmeer, von den Bekannten, deren Kind verunglückt ist. Sie verlangt Zeit, Geduld und manchmal auch Mut, etwas zu tun, das jenseits der eigenen Komfortzone ist.
