Radebeul/Dresden (KNA) – Am Sonntagmorgen ist die kleine Weinbergkirche Christus König im sächsischen Radebeul bei Dresden bis auf den letzten Platz gefüllt. Sonnenlicht fällt durch die großen Glasfronten, färbt den Innenraum bunt und öffnet den Blick auf die herbstlichen Weinberge.
Als die Orgel einsetzt, zieht Gabi Naab mit einem Kollegen und zwei Ministranten ein. Die pensionierte Diplom-Mathematikerin trägt ein schlichtes weißes, knöchellanges Gewand, eine Albe. Naab leitet heute den Gottesdienst, ganz ohne Priester. In der Gottesdienstordnung der Gemeinde ist es als Wortgottesfeier angegeben. Anders als bei einer Messe findet hierbei keine Wandlung von Hostien in den "Leib Christi" statt, da dies allein Priestern erlaubt ist. Es ist also ein Gottesdienst ohne die sogenannte Eucharistiefeier.
Naab übernimmt die Wortgottesfeier mindestens alle sechs Wochen. Unter der Woche leitet sie zudem diverse andere Gebetsformate. "Früher waren wir eine ganz normale Pfarrei mit eigenem Pfarrer und regelmäßigen Eucharistiefeiern", sagt sie.
Zwei Priester für 4.500 Gemeindemitglieder
Seit Wegfall der letzten Pfarrstelle im Jahr 2015 ist das anders: Auf 4.500 Mitglieder kommen in der Pfarrei Sankt Benno, zu der Christus König mittlerweile gehört, aktuell nur noch zwei Priester. Bistumsweit betreuen 93 Priester und elf Diakone rund 128.000 Katholiken im Bistum Dresden-Meißen. Bischof Heinrich Timmerevers sieht die Lage mit Sorge, aber auch mit Pragmatismus: "Blickt man auf die Gesamtzahl unserer Priester in Relation zur überschaubaren Anzahl unserer Gläubigen, so kommt man auf ein Zahlenverhältnis, das sich im bundesweiten Vergleich noch durchaus sehen lässt. Allerdings würden natürlich auch wir uns mehr Priester wünschen."
Gleichzeitig betont er, dass Gottesdienste ohne Eucharistiefeier keine "Feiern zweiter Klasse" sein dürfen. In Ostdeutschland sind diese Feiern aufgrund der Minderheitenlage in der Diaspora schon deutlich länger als im Westen etabliert. Bereits seit den 1960er-Jahren werden im Bistum Laien für die Leitung der Wortgottesfeiern ausgebildet - heute in einer zweijährigen Schulung, die primär am Wochenende stattfindet. Aktuell gibt es 125 Gottesdienstbeauftragte, die Nachfrage ist groß. Ebenso der Bedarf.
Neue Rolle für Pfarrer?
Pfarrer Stephan Löwe, einer der beiden Priester der Pfarrei Sankt Benno im Bistum Dresden-Meißen, ist auf die Unterstützung der Laien angewiesen. Er selbst verbringt viel Zeit im Auto, um in seinem Zuständigkeitsgebiet zwischen Radebeul, Meißen, Nossen und Wilsdruff hin- und herzufahren; die Orte liegen teils bis zu 40 Kilometer auseinander. "Ohne die Ehrenamtlichen wäre das Gemeindeleben in dieser Form nicht mehr möglich", sagt er. Laien übernehmen Gräbersegnungen, Gebetszeiten und Wortgottesfeiern. "Wir Pfarrer unterstützen, wo wir können - vielleicht wird genau das zu einer unserer wichtigsten Aufgaben der Zukunft." Von den Erfahrungen in der ostdeutschen Diaspora könnten in Zukunft auch andere Gemeinden profitiere, meint Löwe.
Für Gabi Naab war die erste selbst geleitete Feier ein Kraftakt. "Ich wollte alles richtig machen und war sehr kritisch mit mir", erinnert sie sich. Dazu kam, dass die Gemeinde anfangs mit Skepsis reagiert habe: "Einige kamen, sahen, dass kein Pfarrer da ist, und gingen wieder." Inzwischen sind die Wortgottesfeiern jedoch genauso gut besucht wie die wenigen Eucharistiefeiern, die es in der Weinbergkirche noch gibt.
Keine Lückenbüßer
Wichtig ist allen Helfern, dass sie keine Eucharistiefeier ersetzen wollen. "Dafür gibt es keinen Ersatz. Es ist eine Antwort auf eine Entwicklung, die wir nicht mehr aufhalten können", sagt Michael Golsch, ebenfalls Gottesdienstbeauftragter und Volkswirt am Finanzministerium Dresden. "Wenn wir keine neuen liturgischen Formate etablieren, kommen wir an den Punkt, wo wir nur noch alle paar Wochen Eucharistie mit einem Pfarrer in unseren Gemeinden feiern können."
Bischof Timmerevers warnt davor, Laien als "Lückenbüßer" zu verstehen. Sie übernähmen einen Dienst, "der in der Kirche oft zu wenig beachtet wurde", räumt er ein. "Das Beispiel anderer Ortskirchen weltweit hält uns vor Augen, wie sehr Getaufte und Gefirmte die tragenden Säulen der Kirche sind."
Appell an die Amtskirche
Gabi Naab gestaltet ihre Wortgottesfeiern eigenständig mit Lesung, Auslegung des Evangeliums-Textes und Segensgebet. Nur die Kommunionspendung bleibt Priestern vorbehalten - die Radebeuler Gemeinde hatte sich dagegen ausgesprochen, sie ohne Priester zuzulassen.
Manchmal unterstützen auch Ministranten die Ehrenamtlichen. Naab sagt jedoch, dass das nicht immer einfach sei: "Ich tue mich schwer damit, wenn mir ein Ministrant das Messbuch halten soll." Sie liest lieber aus einem selbst vorbereiteten Booklet, in das sie alle Texte vorab kopiert hat. An die Amtskirche hat sie einen Wunsch: die Überarbeitung des Sonntagsgebots, nach dem Katholiken am Sonntag die Feier einer Heiligen Messe mit Eucharistiefeier beiwohnen sollen. Das könne eine Wortgottesfeier nicht abdecken. "Warum formuliert man das Sonntagsgebot nicht um - 'Pflicht zum gemeinschaftlichen Gebet'", regt sie an.
