Castel Gandolfo (KNA) – Das Willkommens-Transparent für Papst Leo XIV. haben sie inzwischen abgehängt. „Er ist doch jetzt kein Gast mehr, sondern einer von uns“, sagt der junge Gastwirt Giacomo Carosi stolz; und benennt offenbar ein Grundgefühl der Menschen in Castel Gandolfo. Denn anders als Papst Franziskus hat sein am 8. Mai gewählter Nachfolger den idyllischen Ort in den Albaner Bergen zur Zweitheimat für Gebet, Arbeit und Erholung erkoren. Mehr noch: Seit einigen Wochen verbringt Leo XIV. seinen „freien Dienstag“, an dem er selten Termine hat, in Castel Gandolfo. Wie an diesem freundlichen Herbst-Tag.
Über den Hauptplatz schlendern einige Touristen, die prächtige Papstresidenz, in der rund 400 Jahre lang Päpste den Sommer verbrachten, strahlt in der noch warmen Sonne. Papst Franziskus (2013-2025) hatte aus dem Palast ein Museum gemacht und Castel Gandolfo gemieden – zum Leidwesen der Bewohner, die auch wirtschaftlich auf das Label „Sommerfrische der Stellvertreter Christi“ angewiesen sind. Doch seit Leo XIV. im Juni erstmals – und danach immer wieder – den Ort besuchte, ist alles besser. „Wir sind sehr glücklich“, sagt Chiara Boccia, Besitzerin der Boutique „Cose Belle“ an der Piazza. „Die Atmosphäre ist so viel schöner, seit der Papst so oft bei uns ist.“
Mit Bildern verziert
Stefano Carosi hat die Wände seiner Kaffeebar verziert mit Bildern von Leo XIV. und einer päpstlichen Segensurkunde. Noch immer gerührt präsentiert der Barbesitzer ein Foto, das ihn und seinen Sohn Emmanuele beim Handschlag mit Papst Leo zeigt. Das war im „Borgo Laudato Si’“: Das Öko- und Sozialprojekt hatte noch Franziskus 2023 in den päpstlichen Gärten begründet. „Wo die Schönheit Wurzeln geschlagen hat“, steht auf einem großen Plakat am Eingang des neuen Borgo, wenige Schritte von der Papstresidenz und Stefanos Bar entfernt.
Auch den Sicherheitsleuten des Pontifex scheint der neue Rhythmus, der öfter einen Aufenthalt außerhalb der Vatikanmauern ermöglicht, gut zu tun. Männer in auffällig diskreten dunklen Anzügen schreiten ohne Hast über die Piazza Richtung Dorfstraße. Vor einer Weinbar sitzen Schweizergardisten in Zivil, leicht erkennbar an der Gürtelschnalle mit dem Signet der päpstlichen Schutztruppe. „Es ist für uns wie ein Nachhausekommen“, sagt ein junger Gardist. Nein, die Ära von Benedikt XVI. (2005-2013), der vor Franziskus regelmäßig Castel Gandolfo nutzte, hat er nicht persönlich erlebt, kennt aber begeisterte Schilderungen älterer Gardisten. Im Hinterzimmer der Weinbar „L’Emporio“ bezeugen viele Fotos von Gardisten fröhliche Stunden mit einem guten Tropfen aus der Gegend. Am Eingang prangt ein „Sonett der Freundschaft“, eigens gedichtet auf den neuen Papst.
Sara Leone bietet in ihrem Laden nicht nur Kunsthandwerk und Mosaiken, sie hat auch den Papst selbst gezeichnet – auch in Ermangelung von Postkarten mit dem Pontifex. Doch diese haben inzwischen auch in Castel Gandolfo Einzug gehalten: In vielen Ansichtskartenständern im Ort lächelt Leo XIV. nun mit Franziskus um die Wette.
In der Pfarrkirche San Tommaso da Villanova erinnert nur ein großer mobiler Bildschirm daran, dass Leo am 13. Juli hier erstmals Messe feierte. Eine Pilgergruppe aus Mühlheim am Main sieht sich in der kleinen Barockkirche um. „Was, der Papst ist heute hier?“, sagt eine Chorsängerin erfreut – auch wenn Leo XIV. im Straßenbild nicht zu sehen ist. Dann hält Pfarrer Christoph Schneider eine kurze Andacht, der Chor singt „Laudate omnes gentes“ und „Großer Gott, wir loben Dich“, bevor es zur Weinprobe nach Frascati geht.
Auf die Dorfstraße hinunter zur Villa Barberini, an der die gelb-weiße Vatikanflagge weht, verirren sich heute kaum Touristen. In dem Palazzo pflegt Papst Leo zu logieren – die eigentliche Residenz am Hauptplatz ist inzwischen Museum. Doch hier hat Leo viel eher seine Ruhe zum Arbeiten und Beten, kann in den angrenzenden Gärten Spaziergänge machen und einen herrlichen Ausblick genießen. Das Foto des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dem Leo von seinem Balkon aus den blau-grünen Albaner See zeigt, ging um die Welt. Jetzt sind die grünen Fensterläden geschlossen, kein Papst zeigt sich auf dem Balkon.
An der Piazza positioniert
Doch schon am Nachmittag haben sich Kamerateams an der gegenüberliegenden Piazza Urbano VIII. postiert, den Ausgang der Villa Barberini fest im Blick. Die Carabinieri beäugen die Szenerie genau. Denn inzwischen hat sich der Platz zum Medien-Standort entwickelt: Immer, wenn der Papst im Van seine Residenz verlässt, stellt er sich kurz den Fragen der „lauernden“ Journalisten.
An diesem Abend müssen sie lange warten, unterdessen hat Regen eingesetzt. Diesmal äußert sich das Kirchenoberhaupt zur Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten, in den Wochen zuvor ging es um den Krieg in der Ukraine und die Lage in Gaza. Es ist schon dunkel, als Leo sein Refugium Richtung Vatikan verlässt. Aber der nächste Papst-Dienstag kommt bestimmt.