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Missio: Eigene Herausforderungen der Kirche in Afrika verstehen

Aachen (KNA) – Am Sonntag ging die 20. Vollversammlung der nationalen Bischofskonferenzen von Afrika und Madagaskar (SECAM) in Ruandas Hauptstadt Kigali zu Ende. Als Gast dabei war der Präsident des katholischen Hilfswerks missio Aachen, Dirk Bingener. Er warb dort besonders für den stärkeren Schutz von Ordensfrauen vor Ausbeutung und Missbrauch. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht er über die Zukunftsziele der Kirche in Afrika, die Situation von Ordensfrauen und unterschiedliche Lebensrealitäten.

 

Herr Bingener, in Afrika wächst die Kirche massiv. Was macht sie dort anders als in Europa?

Ich würde das nicht immer direkt ins Verhältnis zu Europa setzen. Die Kirche in Afrika ist jung, aber auch der Anteil der jungen Menschen an der Bevölkerung ist groß. Die Religion spielt eine wichtige Rolle im alltäglichen Leben, und damit auch die Kirche. Die SECAM-Konferenz war sich dessen bewusst, zumal es sehr drängende Fragestellungen gibt: Die Themen Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung sind sehr virulent in vielen afrikanischen Ländern.

 

Was haben die afrikanischen Bischöfe als Ziele für die Zukunft definiert?

Man hat sich jetzt eine Agenda bis 2050 gegeben und verschiedene Schwerpunkte gesetzt: Als allererstes die Frage, wie man Menschen mit dem Evangelium in Kontakt bringt und die Zustände in der Gesellschaft im Sinne des Evangeliums verändert. Man hat auch nochmal genau hingeschaut, wie Katechese stattfindet, damit sich Menschen reflektierter mit dem Evangelium auseinandersetzen können. Dabei spielt auch eine Rolle, wie man mit Social Media oder neuen Technologien den Glauben vermitteln kann. Weitere Themen waren Bildung oder Zukunftsperspektiven junger Menschen, die Frage von Klima und Umwelt, und natürlich auch die große Armut in vielen Teilen des Kontinents.

 

Haben Sie bei dem ein oder anderen Thema auch Inspiration für die Kirche in Deutschland mitgenommen?

Ich habe zunächst einmal zugehört, wie die Situation in der afrikanischen Kirche ist. Ich halte viel davon, zu verstehen und wertzuschätzen, vor welchen Herausforderungen die Kirche dort steht, ohne sofort schon wieder Dinge übernehmen zu wollen. Es war sehr interessant, welche Antworten die Gläubigen in Afrika auf ihre Fragestellungen geben. Ich glaube, in Deutschland müssen wir auf unsere eigene Realität schauen und müssen dann unsere eigenen Antworten finden.

 

Welche Schritte geht man denn in Afrika auf den Weg zu einer synodaleren Kirche?

Man hat auf der Konferenz das Bild der Familie Gottes bemüht. Dieses Familienbild impliziert, dass man für seine Familienmitglieder zuständig ist, dass man ihnen mit Respekt, mit Liebe, mit Wertschätzung begegnet, dass man aufeinander hört, dass man gemeinsam Probleme löst. Natürlich gibt es eine Hierarchie in dieser Familie. Da stellt sich also dann die Frage, wer in der Familie letztlich Entscheidungen trifft. Die Kirche als Familie ist ein sehr starkes, positives Bild, es hat aber auch seine Grenzen und beantwortet nicht alle Fragen.

 

Gerade in Afrika werden oder wurden Ordensfrauen oft Opfer von Missbrauch und Ausbeutung. Wie steht es inzwischen um dieses Thema? Sehen Sie da Fortschritte?

Wir hatten im vergangenen Jahr eine gemeinsame Konferenz mit der SECAM zum Thema Empowerment von Ordensfrauen in Lomé - mit 120 Ordensfrauen aus 30 Ländern Afrikas. Da haben die teilnehmenden Bischöfe sehr gut zugehört und waren getroffen von den Schilderungen der Schwestern. Sie haben dann gesagt, die Schwestern müssen die Möglichkeit bekommen, darüber auf der SECAM vor den Bischöfen Afrikas zu sprechen. Wir haben daraufhin deren Teilnahme ermöglicht.

 

Was haben die Schwestern den Bischöfen gesagt?

Sie haben sicher deutlich gemacht, was Missbrauch von Ordensfrauen in der Kirche bedeutet, wie schlimm die Auswirkungen sind und dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Sie haben das in einer nicht-öffentlichen Sitzung getan, weil es ihnen wichtig war, dass die Bischöfe nicht in eine Verteidigungshaltung kommen, sondern zuhören und Mechanismen verstehen.

 

Nehmen Sie in dieser Frage eine veränderte Haltung bei den Bischöfen wahr?

Es gibt Bischöfe in afrikanischen Ländern, die das sehr gut verstanden haben und jetzt Veränderungen vornehmen. Es gibt aber auch welche, die diesen Missbrauch immer noch als Einzelfälle abtun. Da gilt es natürlich, weiter am Thema dranzubleiben. Der Auftritt der Ordensschwestern auf der SECAM war ein wichtiger Schritt - weitere müssen folgen. Prävention von Missbrauch ist eine sehr praktische Fragestellung, bei der man an ganz vielen Stellschrauben drehen muss, damit Macht- oder Abhängigkeitsverhältnisse abgebaut werden. Als Hilfswerk verlangen wir zum Beispiel keine Bischofsempfehlungen mehr, wenn es um Gelder für Projekte von Ordensfrauen geht.

 

Wir haben schon über unterschiedliche Lebensrealitäten gesprochen. Bei der SECAM wurde auch Polygamie thematisiert, weil das in Afrika eine Herausforderung für die Kirche ist. Wie wurde das diskutiert?

Es gibt beispielsweise Menschen, die in polygamen Beziehungen leben und dann zum Christentum konvertieren. Sie haben Verpflichtungen gegenüber den Kindern beziehungsweise den Partnerinnen aus ihren Verbindungen, die ja weiter bestehen. Interessant war hier, dass die Bischöfe sehr deutlich die Realität geschildert und sich gefragt haben, wie die Kirche mit diesen Herausforderungen, die sich daraus ergeben, angemessen pastoral umgehen kann.

 

Kommen wir zu einer anderen Lebensrealität: Gerade in der Debatte um Fiducia supplicans wurde deutlich, dass das Thema Homosexualität in der Kirche Afrika anders gehandhabt wird als in Europa. Es gibt dort auch manche Bischöfe, die Strafen gegen Homosexuelle begrüßen würden. Wie geht missio als Hilfswerk damit um?

Zunächst müssen wir feststellen, dass es unterschiedliche Auffassungen gibt. Wir äußern unsere Position gegenüber den Bischöfen deutlich. Unsere Förderung duldet keine Diskriminierung. Daher ist für uns eine Grenze längst überschritten, wenn die Anwendung von Strafen gefordert wird.

 

Kommen wir zum Schluss nochmal auf den Beginn zurück: Wie groß ist der Beitrag, den die Kirche in Afrika zur Versöhnung und vielleicht auch zur Demokratisierung von Gesellschaften in afrikanischen Ländern leisten kann?

Diesen Beitrag kann man gar nicht unterschätzen. Das steht den Bischöfen auch klar vor Augen. Gerade bei den Fragen, die Papst Leo XIV. so wichtig sind, Frieden und Versöhnung, kann die Kirche durch ihr Netz da hinreichen, wohin es staatliche Institutionen gar nicht mehr schaffen. Das ist natürlich ein Pfund, das die Kirche in Afrika einsetzen muss.