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Uno spielen ist ein Lernprozess

Nadine Rücker hat zunächst eine Ausbildung zur Erzieherin absolviert und ­anschließend noch berufsbegleitend Soziale Arbeit studiert. Foto: Christoph Gahlau
Nadine Rücker hat zunächst eine Ausbildung zur Erzieherin absolviert und ­anschließend noch berufsbegleitend Soziale Arbeit studiert. Foto: Christoph Gahlau

Nürnberg (cga) – Kairos – das heißt so viel wie die gute Gelegenheit am Schopf packen. Genau das hat Nadine Rücker nach einem Praktikum im Nürnberger Kinder- und Jugendhaus Stapf der Caritas vor vielen Jahren getan. Sie entschied sich damals, dass sie später einmal in einer Kinder-Wohngruppe tätig sein will und hat genau diese Idee so umgesetzt. 

 

Bis vor Kurzem hat Rücker eine Wohngruppe im Stapf im Nürnberger Stadtteil St. Leonhard geleitet. Einer ihrer „Schützlinge“ war der neun Jahre alte Alexander (Name geändert), der sich heute mit Nadine und dem Redakteur vom Heinrichsblatt im Therapiezimmer des Stapf trifft. Das Treffen findet ganz bewusst nicht in der Wohngruppe statt, um auch die Privatsphäre der Kinder zu respektieren. 

 

Bis ein Kind im Stapf einzieht, hat es oft einen langen (Leidens-)Weg bereits hinter sich. Die Eltern, so erläutert Rücker, seien oft nicht mehr in der Lage sich um ihren Nachwuchs zu kümmern. Sei es, weil sie psychisch krank sind oder mit Suchtproblemen, wie Alkohol oder Drogen, kämpfen. Bevor ein Kind oder Jugendlicher im Stapf seinen Platz findet, werden in der Regel erst andere Unterstützungsmöglichkeiten versucht. Wie beispielsweise den ambulanten Familiendienst der Caritas – den Bereich, in dem Rücker nun arbeitet. 

 

Fast 15 Jahre hat Nadine Rücker in der Wohngruppe gearbeitet. Dies bedeutet einen möglichen Dienst an 365 Tagen im Jahr – Wochenende, Feiertage und selbst Weihnachten eingeschlossen. Der 24-Stunden Dienst beginnt um 13 Uhr. Bis zur Nachtruhe um 22 Uhr ist nun am meisten zu tun. 

 

Die Kinder kommen aus der Schule, müssen ihre Hausaufgaben machen oder haben oft noch zusätzliche Unterstützungsangebote wie Logopädie, Ergotherapie oder Physiotherapie. Und weil eben in dieser Zeit viel zu tun ist, gibt es eine zweite Kraft, die von 11 bis 19 Uhr in der Wohngruppe ist. „Für die Kinder ist wichtig, dass sie von der Person geweckt werden, die sie auch ins Bett bringt“, erzählt Rücker. Und es sei für sie wichtig, dass jemand auch in der Nacht da und ansprechbar ist. Gerade wenn ein Kind neu eingezogen ist, sei auch mit Albträumen mal zu rechnen. In den meisten Nächten habe sie aber durchgeschlafen.

 

Selbst wenn man am Nachmittag und frühen Abend zu zweit in der Gruppe sei, es seien doch Kinder, die ihr „Päckchen zu tragen haben“. Und eigentlich manchmal auch mehr Aufmerksamkeit bräuchten, als sie den einzelnen Mädchen und Jungen schenken können, erzählt die langjährige Wohngruppen-Leiterin.

 

Alexander genießt die Zeit mit Nadine im Therapiezimmer. Denn so viel Aufmerksamkeit bekommt er selten. Der Neunjährige geht in die dritte Klasse, spielt gerne Lego und ist ein begeisterter Fußball-Fan. Zu unserem Treffen kommt er auch im Fußball-Trikot. 

 

Zunächst marschiert Alexander zum Kaufladen und spielt damit. Doch irgendwann sind die Kissen, die aufgestapelt sind, interessanter und Alexander beginnt eine kleine Burg damit zu bauen. Nicht lange, denn es macht einfach Spaß in diese Kissenburg zu springen. 

 

Wut und Bürokratie

 

In der Wohngruppe soll es – soweit möglich – einen normalen „Familienalltag“ geben. Der Einzug in die Wohngruppe ist für die Kinder in der Regel mit Trauer verbunden und der Frage: Warum muss ausgerechnet ich ins Heim? Das langfristige Ziel sei es immer, dass die Kinder wieder zurück in ihr Elternhaus können. Dafür wird alle sechs Monate ein sogenannter Hilfeplan erstellt, der die Frage stellt: Was braucht es denn? Wie können wir noch besser unterstützen? 

 

Etwa einmal im Jahr gibt es einen Wechsel in der Gruppe, berichtet Rücker. Ein Kind zieht aus, wechselt eventuell in eine andere Gruppe oder kann sein Leben vom Alter her selbst gestalten. Wenn ein neues Kind einzieht, dann ändert sich auch die Gruppenkonstellation. Also konkret, wie ist meine Rolle innerhalb der Gruppe. „Machtspielchen gehören da mit dazu“, sagt Rücker. Nachdem ein neues Kind eingezogen ist, sei es erst einmal wichtig, dass dieses Struktur lernt und sich an Spielregeln hält, erzählt die Sozialpädagogin. „Uno spielen ist ein Lernprozess.“ 

 

Unter der Woche wird das Essen aus der Großküche geliefert, am Wochenende aber wird selbst gekocht. Das bedeute auch, dass die Kinder, die an diesen Tagen das Kochen übernehmen, sich auch um den Einkauf kümmern müssen. Überhaupt gibt es so die eine oder andere Aufgabe, die verteilt wird. Zum Beispiel die Spülmaschine ein- und auch auszuräumen oder den Müll rauszubringen. 

 

Und obwohl Nadine Rücker und ihre Kolleginnen und Kollegen versuchen, dem Tag eine Struktur zu geben, „ist doch jeder Tag anders.“ Immer wieder gebe es auch mal Wutausbrüche oder Türen knallen. „Da kommen einfach Emotionen heraus.“ 

 

Neben der eigentlichen „praktischen“ Tätigkeit geht es auch nicht ganz ohne Bürokratie. Über jedes Kind wird eine sogenannte Tagesdokumentation verfasst. Und Supervision, Team- und Fallbesprechungen stehen ebenfalls regelmäßig an. Die Arbeit in der Wohngruppe ist für Nadine Rücker „ein bisschen wie ein zweites Leben.“ Man müsse sich wohlfühlen, sonst werde es in diesem Beruf sehr schwer, sagt sie und ergänzt: „Wir haben ein sehr sehr gutes Arbeitsklima.“