Lausanne (KNA) – Der Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, Frère Matthew (Thorpe), sieht im derzeitigen Zustand der Kirchen eine große Chance. "Wir leben in einer wunderbaren Zeit, denn die Kirchen verlieren an Macht, sie werden arm", sagte er dem Schweizer Portal cath.ch (Freitag) in Lausanne. Damit bekämen sie die "unglaubliche Chance", die eigene Botschaft auch wirklich zu leben.
Die Frage der Macht sei sehr kompliziert, so der britische Anglikaner. Kirche habe "viele Menschen verletzt, sogar in Taizé, wo es zu sexuellen Übergriffen gekommen ist". Seine Gemeinschaft lerne derzeit noch aktiv, mit dieser Frage umzugehen, "und wir lassen uns dabei helfen".
Das von Papst Franziskus angestoßene und auch von dessen Nachfolger Leo XIV. vertretene Prinzip der Synodalität in der Kirche befürwortete Frère Matthew ausdrücklich. "In Taizé versuchen wir, Synodalität umzusetzen. Arbeitsgruppen aus mehreren Brüdern reflektieren gemeinsam über verschiedene Bereiche des Gemeinschaftslebens", so der Prior. Das brauche Zeit - "aber es ist der Weg, den wir gehen müssen".
"Hypervernetzte Welt"
Zur bleibenden Motivation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, nach Taizé zu kommen, sagte Frère Matthew: "In einer hypervernetzten Welt brauchen junge Menschen Räume, in denen sie vor Gott mit anderen sie selbst sein können." Es sei auffällig, wie sehr sich die Jugendlichen in das gemeinsame Gebet, in wiederholte Gesänge und Zeiten der Stille einfügten.
"Für viele von ihnen ist es die Stille, die sie am meisten beeindruckt." Es gehe um Räume, in denen sie sich sicher fühlten, wo sie zusammensein und sich frei austauschen könnten. "Junge Menschen sind instinktiv synodal", sagt Frère Matthew. Der Austausch in kleinen Gruppen und Zuhören würden in Taizé seit Jahrzehnten praktiziert.
Gefangene des eigenen Algorithmus
Eine Herausforderung bestehe heute darin, gegen Polarisierung anzukämpfen, führte der Prior aus. "Manche sind Gefangene ihres eigenen Algorithmus und unfähig, darüber hinauszuschauen." Sie seien auf der Suche nach Orientierungspunkten, nach Authentizität. Da gelte es, ihnen darin zu begegnen und ihnen zuzuhören, ohne sie zu verurteilen.
Frère Matthew, bürgerlich Andrew Thorpe, wurde 1965 in Pudsey in der englischen Grafschaft Yorkshire geboren. Während seines Medizinstudiums in Sheffield entdeckte er 1985 bei einem zweiwöchigen Aufenthalt die Gemeinschaft von Taizé. Mit 21 Jahren trat er dort ein, nahm den Namen Frère Matthew an und legte 1989 sein Gelübde auf Lebenszeit ab. 2023 trat er mit 58 Jahren die Nachfolge von Frère Alois (Löser) als Taizé-Prior an. Er ist damit der dritte Prior und der erste aus der anglikanischen Tradition.
Die ökumenische christliche Brüdergemeinschaft von Taizé im südlichen Burgund wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs von dem Schweizer Calvinisten Frère Roger (Schutz, 1915-2005) gegründet. In den 60er Jahren wurde sie zum Treffpunkt für Jugendliche aus aller Welt. Heute gehören der Bruderschaft rund 80 Männer aus etwa 30 Ländern an, die aus protestantischen und der katholischen Kirche stammen.
